Nackte Frau vor offener Balkontür

Knospende Brüste, sprießendes Schamhaar, cellulitefreie Körper, Blut und tote Schweine – toll! Ein Tag, der unter dem verheißungsvollen und von mir selbst gewählten Motto „Fleisch“ stand und die in ihn gesetzten Erwartungen mehr als erfüllte. Körperfetischisten, angehende Metzger und solche die es noch werden wollen, sind beim CPH:DOX, dem Dokumentarfilmfestival in Kopenhagen, sehr gut aufgehoben.

Ach Männer, die schlechte Nachricht zuerst: auch ihr werdet alt, schlabbrig und müsst sterben. Und so nachvollziehbar die Sehnsucht nach einem jungen, vitalen, straffen Körper ist, warum muss ein 90 Minütiger Dokumentarfilm daraus werden. Jørgen Leth, dänische Filmemacher-Legende, Poet und Sportreporter hat es getan. Unerreicht sein Kurzfilm „The Perfect Human“. Großartig die Weiterführung des Themas gemeinsam mit Lars von Trier in „The Five Obstructions“. Und jetzt das Produkt 10 Jähriger Arbeit: „Det erotiske menneske“ (Erotic Man), der als Eröffnungsfilm des CPH:DOX seine Weltpremiere feierte. Eine artifiziell aufgeladene anatomische Studie des weiblichen Körpers.

Zur Geschichte: Ein alter Poet (Leth) reist durch die Welt, zurück an Orte, die er mit einer Liebesbeziehung verbindet. Mit der Hilfe von jungen Frauen will er die Vergangenheit noch einmal lebendig werden lassen. Er will sich noch einmal erinnern, wie es damals war – das Licht, die Gerüche, die Farben. Aber ach … dass es noch wie damals wär’, doch kommt die schöne Zeit nicht wieder her!

Livia, Ana Flavia, Julia, Elida, Paula, Dorothie, Giovanna, Ellen, Carla, Olivia, Bianca und die Anderen baden, duschen, liegen hingegossen und rauchend auf Betten oder stehen vor einer geöffneten Balkontür. In ca. 98% der Einstellungen nackt. Brüste, Bauch, Beine, Po und von allem reichlich. Dazu Dichterworte („Sieh sie dir an … was mag sie denken?“), gesprochen von den Frauen oder Leth. Hin und wieder kommt der Meister selbst ins Bild, bei Castings von Frauen (angezogen) oder der Betrachtung von Nacktbildern. Dächte man in Begriffen wie Wichsvorlage, hier könnte man auf die Idee kommen. Selbstverständlich ist dagegen nichts einzuwenden.

Die Asche des Vaters

Ganz andere Frauen und immer bekleidet zeigt die dänische Produktion „The Good Life“ von Eva Mulvad. Mutter und Tochter sind in Portugal gestrandet. Das Geld ist weg. Die Wertgegenstände, die sich noch zu Geld machen ließen, auch. Was immer selbstverständlich schien und um dessen Beschaffung man sich nie Sorgen machen musste ist irgendwie zwischen den Fingern zerronnen. Anne Mette spricht fünf Sprachen fließend, hat die halbe Welt gesehen und ist jetzt, mit Ende 50, mit der Tatsache konfrontiert, dass man für Geld eventuell arbeiten muss. Ein Umstand, den sie für sich absolut negiert. Lieber möchte sie sterben.

Anne Mette ist die verwöhnte Prinzessin geblieben, zu der sie erzogen wurde. Über Geld spricht man nicht, man hat es. Mit beleidigt gespitztem Schmollmündchen beschimpft sie ihre Mutter. Ihre Tiraden sind eine einzige Anklage. Sie suhlt sich in ihrem Elend. Mutter Mette erträgt die Ausbrüche der Tochter demütig und zerfressen von Schuldgefühlen. Sie meint, die alleinige Verantwortung für die Lebensuntüchtigkeit des Töchterchens zu tragen. Vater Valdemar, Mit- wenn nicht Hauptverantwortlicher für das Dilemma seiner Hinterbliebenen, ist vor einiger Zeit gestorben.

Im Verlauf des Filmes wird Tochter Anne Mette seine Asche ins Meer kippen. Beide Frauen sind sich auf Gedeih und Verderben in einer winzigen Wohnung ausgeliefert, umgeben von Relikten einer güldenen Vergangenheit. Einmal mehr zeigt eine Dokumentation, welche großartigen Möglichkeiten dieses Genre hat, insbesondere wenn auf Spielereien verzichtet wird und die Filmemacherin ganz bei der Geschichte ihrer Protagonisten bleibt.

Blut und Spiele von und mit Hermann Nitsch

Zum Abschluss des Tages gab es Schlachtplatte mit Schwein, Rind und Schleim, vorgetragen und serviert vom österreichischen Maler und Aktionskünstler Hermann Nitsch in dem Film „Das Orgien Mysterien Theater“ von Peter Kasperak.

Schon einmal darüber nachgedacht eine Sau zu erlegen, aufzuhängen, auszuweiden und die Innereien zu richtig durchzuwalken? Warum eigentlich nicht, liebe Nachwuchsmetzger? Kasperaks Film widmet sich unkommentiert den Aktionen von Hermann Nitsch, insbesondere dem Höhepunkt seines Schaffens, dem 6-Tage-Spiel des Orgien Mysterien Theaters mit Lärmorchester, Schreichören und insgesamt über 500 Beteiligten im Sommer 1998.

Nitsch will mit seinem Schaffen – das Durchmengen von Innereien in aufgebrochenen Tierkadavern oder auf menschlichen Körpern oder in der Kombination totes Tier auf menschlichem Körper, das orale Zuführen und langsame wieder ausspucken von Blut und anderen Substanzen, das Ganze gerne in der Kombination mit rituellen Kreuzigungen – die teilnehmenden Betrachter über Ekel und Abscheu zu einer Katharsis führen. Oder, wie der Meister im Film selbst sagt: „Man muss den Mut haben, Freude dabei zu empfinden.“

Wer es nicht so mit toten Tieren, literweise Blut und allerlei Innereien hat, den dürften in den 122 Minuten Film zermatschte Tomaten und Trauben auch nicht wirklich trösten. Zumal der Brei anschließend in ein Schwein gegossen und die darin befindlichen Innereien mal so richtig ordentlich durchgeknetet werden. Sicher ist, dass da jemand sein Lebensthema gefunden hat und sich daran abarbeitet. Zusehen möchte ihm dabei sicher nicht jeder. Nitsch rückt nicht nur Tiere in den Mittelpunkt seines Schaffens, sondern auch nackte Menschen, Männer wie Frauen. Sehr schön die Kombination Doppelhirn über weiblicher Scham oder Penis in Blut-Hirn-Süppchen.  Wer jetzt auf den Geschmack gekommen ist, muss sich nicht nach Kopenhagen bemühen. Der Film lief gestern zum letzten Mal im Rahmen des Festivals.