Berlinale 2018 – Hunde, wollt ihr ewig leben?
Über die Angst des Berlinale-Besuchers vor Viren, verkeimten Hundeschnauzen und einen mit unsichtbaren Superstars besetzten Eröffnungsfilm von Wes Anderson.
Wenn im Februar die Internationalen Filmfestspiele in Berlin beginnen, wird es traditionell noch einmal bitterkalt in der Hauptstadt. Eisig fegt der Wind über den ungewohnt belebten Potsdamer Platz. Menschen eilen mit tief in die Stirn gezogenen Mützen über die Straßen. Schals werden fest um Münder und Nasen gezogen. Weh dem, der seine Fäustlinge in Bus und Bahn verliert.
Neben Wasser, Nüssen und Kopfschmerztabletten gehören Desinfektionstücher zur Grundausstattung jedes Berlinale-Dauergastes. Alle haben die letzten Grippe-Zahlen, Noro-Reports, Verlaufsfälle und Verteilungsgrafiken studiert. In Schlangen vor Kinosälen achtet man auf das Rasseln der Lungen vor, neben und hinter sich. Hustet der Sitznachbar schwer, wird das eigene Immunsystem mittels Autosuggestion angekurbelt, während man einem Film in Urdu mit englischen Untertiteln folgt.
Den Wettbewerb der Berlinale 2018 und damit das Rennen um die Goldenen und Silbernen Bären eröffnet Wes Andersons postvirales Stop-Motion Hunde-Märchen „Isle of Dogs“ (Ataris Reise). Die Auswahlkommission beweist mit dieser flauschigen Hommage an die Angst des Kritikers vor einem schweren grippalen Infekt nicht nur Filmsachverstand sondern auch erstaunliches Einfühlungsvermögen.
Hunde sind die besseren Menschen
Wir befinden uns in einer nahen Zukunft. Hunde, Katzen und Menschen leben nach einer Zeit blutiger Auseinandersetzungen in friedlicher Koexistenz in Megasaki City. Nach dem Ausbruch gefährlicher Hundeseuchen verbannt der korrupte Bürgermeister und Katzenfreund Kobaachi alle Hunde auf die Müll-Insel Trash Island. Straßenköter, Schoßhündchen und Elite-Bodyguardhunde bilden Notgemeinschaften in Chaos und Dreck.
Da landet eines Tages der 12-jährige Atari mit einem entführten Kleinflugzeug auf Trash Island um seinen besten Freund Spots zu suchen, der als erster auf die Insel verbannt wurde. Während sich auf dem Festland der Widerstand gegen die hundefeindliche Politik formiert, macht sich eine verfilzte Schar Vierbeiner gemeinsam mit dem gesundheitlich schwer angeschlagenen Atari auf die Suche nach Spots.
Kino-Märchenerzähler Wes Anderson (The Grand Budapest Hotel) erweist sich wieder einmal als Meister der phantastischen Bilder und Dialoge. Mit wundersamer Leichtigkeit gelingt die Parabel über Verfolgung, Ausgrenzung und drohende Vernichtung einer ganzen Art. Chief, Spots, Boss, King und all die kleinen und großen Rudel der Außenseiter bellen gemeinsam ein Loblied auf die Kraft der Freundschaft und den Mut. Und der Hund heißt Hund, weil er wärmt, wenn er erzählt.
Superstars wie Bryan Cranston, Edward Norton, Bill Murray, Jeff Goldblum, Ken Watanabe, Greta Gerwig, Frances McDormand, Harvey Keitel, Liev Schreiber, Scarlett Johansson und Tilda Swinton (um die wichtigsten in aller Kürze zu nennen) leihen Hunden und Menschen ihre Stimmen. Ob die Jury des Internationalen Wettbewerbs unter der Leitung des deutschen Filmemachers Tom Tykwer sich von „Isle of Dogs“ verzaubern lässt, erfahren wir bei der Preisverleihung am 24. Februar 2018.
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