Mach’s noch einmal, Lena – Das ESC-Finale 2011
Setzt Kati Wolf aus Ungarn im Finale wieder auf blauen Satin? Werden die Mütter Europas dem finnischen Kandidaten Paradise Oskar die Eurovision-Krone aufsetzen? Gelingt Lena mit „Taken By A Stranger“ die Titelverteidigung für Deutschland? Der finale Blogbeitrag zum Eurovision Song Contest 2011: Ab 21 Uhr live und manchmal sogar in Farbe.
Was bisher geschah: Semifinale I, Semifinale II und alle Finalisten des heutigen Abends.
Vor Abenden wie diesen wird man ja oft gefragt: „Mensch Julie, wie machst du das nur, glotzt 100 Stunden TV und siehst dabei aus, als wären es nur 75 gewesen? Isst du nur noch rohes Gemüse, schwimmst du bei Minustemperaturen durch Flüsse und trinkst dazu 10 Liter Quellwasser aus dem Himalaja? Die Antwort ist: Aber nein! Ich habe gute Gene und ansonsten tue ich all das, was ihr auch schon den ganzen Tag macht. Forme Säugetiere aus Hackfleisch und denke über Sinn und Unsinn der menschlichen Existenz nach. Wo gehen wir her und hin, kommen wir wieder und muss das bei wirklich allen sein?
Kennt jemand die Menschen, die da von Hamburg aus zu uns singen?
Und während auf der Reeperbahn schon gefeiert wird, nutzen wir die verbleibenden rund 15 Minuten bis zum Anpfiff zur inneren Einkehr. Talente zum Beispiel (aus Gründen kann man gerade jetzt darauf kommen, während enthemmte Menschen über eine Showbühne springen), mit denen man vor Jahrzehnten gesegnet wurde und was man nicht daraus gemacht hat. Sollten nicht wir gleich für Deutschland singen, also ich vielleicht nicht, aber ihr? Wenn man also so dasitzt, unsicher, ob der ESC-Tipp richtig war oder auf Jahre hinaus für Lacher in Team-Meetings sorgen wird, befällt einen endgültig eine völlig haltlose Schwermut. Die betäubt man dann in Ermangelung von Alternativen mit rohem Fleisch und Alkohol, was einen dann noch trauriger macht und zu einem Teufelskreis führt Wenn ihr schon nicht singt, warum habt ihr es nicht in die deutsche Jury geschafft!?), der nicht selten mit stundenlangen Aufenthalten in sanitären Einrichtungen endet, aber wem sage ich das. Und damit Grüß Gott und einen fröhlichen guten Abend uns allen!
Jury-Präsidentin Ina Müller trägt eine Hose mit Rauptiermuster und singt. Das männliche Pendant zum It-Girl ist ja der Mädchenschwarm (und im Moment der Erkenntnis dieses Zusammenhangs, kommt einem das eigene Dasein gar nicht mehr so sinnlos vor). Und dann spricht auch noch Pastor Gereon Alter aus der Arena Düsseldorf das „Wort zum Sonntag“ zu uns.
Sie sangen nur einen Sommer lang und nicht jeder Mädchenschwarm rettet die eigene Physiognomie hinüber zum älteren Modell, dem viel zu früh ergrauten Frauenschwarm. Wenden wir uns also mit liebendem Blick den jungen und nicht mehr ganz jungen Mensch zu, die in 15 bis 40 Jahren ihren Enkeln erzählen werden, was sie an jenem denkwürdigen 14. Mai 2011 getan haben …
Es ist 21 Uhr, Peter Urban spricht zu uns und die Moderatoren sehen gut aus. Anke Engelke trägt ein rotes Federkleid. In diesem Jahr eröffnet nicht der Sieger des Vorjahres den Abend, weil Lena auch 2011 im Wettbewerb vertreten ist. Stefan Raab singt kurzerhand selbst. ESC-Shows sind schon schlechter eröffnet worden.
Und jetzt – Öffnet eure Herzen für die Startnummer 1 aus Finnland: Paradise Oskar mit „Da Da Dam“. Herzergreifend. Oder, um Peter Urban zu zitieren: Muttis Liebling. Sein Lied entstand nach dem gescheiterten Weltklimagipfel in Kopenhagen.
Und schon an zweiter Stelle ein Titel, der weit nach oben kommen wird: Dino Merlin für Bosnien-Herzegowina mit „Love In Rewind“. Man darf halt nicht hinsehen. Denkt an meine Worte!
Apropos Favoriten: A Friend In London mit „New Tomorrow“ für Dänemark, summt man beim zweiten Hören schon mit. Vielleicht sehen wir uns 2012 alle in Kopenhagen wieder. Mein Bett kriegt ihr nicht! Aber warum Männer meinen, senkrecht aufgestellte Haare wären … gut (oder wild)!?
Wer Musicals mag, wird Evelina Sasenko aus Litauen mit „C’est Ma Vie“ lieben, für die auch schon angerufen werden kann. Ihr müsst also gar nicht bis zum Schluss wach bleiben. Einfach zum Hörer greifen, 100 Mal für den favoriten anrufen. Lied müsst ihr nicht kennen. Und dann husch, husch ins Bettchen. Das Lied ist im Übrigen immer noch nicht zuende. Mit dem einen oder anderen Oberton aus dem Lied können sicher auch kleine Tiere aus ihren Höhlen gelockt werden.
So. Freunde. Startnummer 5 – Kati Wolf aus Ungarn „mit What About My Dreams“.Wie im Halbfinale in blauem Satin. Der Chor leuchtet. Kam nicht nur in der Halle gut an …
Jedward, Spring-ins-Feld-Zwillinge aus Irland mit „Lipstick“. Die bescheuerte Optik ist nicht zu entschuldigen. Und das Rumgehopse sorgt zu diesem frühen Zeitpunkt nur für unnötige Unruhe. Urban hat recht, die Mutter der beiden kann einem leid tun.
Schweden will mit Kinderkanal-Moderator Eric Saade und dem Electro-Pop-Titel „Popular“ an alte, ruhmreiche Zeiten anknüpfen. Leben ist kein Wunschkonzert / Pony-Hof / Pommes rot-weiß. (Muss rasch die Augen schließen, aus Sorge vor einem epileptischen Anfall … Sekunde …)
Was ist das eigentlich immer mit den Sado-Maso-Outfits der Backroundtänzer?
Schulmädchencharme aus Estland. Getter Jaani mit „Rockefeller Street“ erfreut sich bei den männlichen Kollegen angeblich großer Beliebtheit. An den bewegungstherapeutischen Tanzeinlagen kann es nicht liegen.
Es folgt einer, wenn nicht der Höhepunkte des Abends: Loucas Yiorkas featuring Stereo Mike für Griechenland mit „Watch My Dance“. Enjoy!
Sunnyboy, Mädchenschwarm, Lichtschuhträger – Alexey Vorobyov für Russland mit „Get You“. Wenn er jetzt noch zwinkert muss ich brechen. Vor Amaury Vassilis „Sognu“ für Frankreich fürchte ich mich, seitdem ich erste Takte des Titels gehört habe. Manchmal sollte man auf sein Gefühl hören. Letzter Platz.
Eine Stunde ist fast rum – Zeit für ein Glas Spezi.
Nach 14 Jahren wieder dabei: Italien. San-Remo-Nachwuchsgewinner Raphael Gualazzi liefert mit „Madness Of Love“ einen fluffig-jazzigen Beitrag ab. Chancenlos in Osteuropa. Mal sehen, wie weit es die Startnummer 12 am Ende bringt.
Alle finden Anna aus der Schweiz mit „In Love For A While“ gut. Alle außer einer … Gießkannigkeit des Gesangs kann es locker mit Rhianna aufnehmen. Blue, alternde Boygroup aus Großbritannien, möchten mit „I Can“ etwas für die Altersvorsorge tun. Zusatzpunkte für die beste Brustenthaarung.
Und jetzt Alkohol für alle – Balkan-Pop von Zdob si Zdub für Moldau mit „So Lucky“.
Und jetzt, mit der Startnummer 16: Lena mit „Taken By A Stranger“. Nicht so schlecht.
Bei Hotel FM für Rumänien ist der flotte Pianist am weißen Flügel im Hintergrund zu beachten. Zum Titel „Change“ hüpft er freudig erregt auf seinem Sitzbänkchen herum. So soll das sein.
Der Preis für die ordentlichste Frisur geht in diesem jahr nach Österreich. Nadine Beiler singt „The Secret Is Love“. Da vibriert das Zwerchfell schon beim zuhören. Dieses Geschreie muss man halt mögen, aber Peter Urban ist sehr verliebt.
So, wo sind wir!? Startnummer 19, Ell und Nikki singen für Aserbaidschan „Running Scared“. Ein Lied, das nicht vermisst worden wäre, hätte es das Semifinale nicht überstanden. Es folgen Overknee-Gummistiefel und Metallkleid: Anastacia heißt jetzt Maja Keuc und singt für Slowenien „No One“. Mehr Wind hätte der Nummer gut getan.
Lieb: Sjonni’s Friends für Island mit „Coming Home“. Singen den Titel für ihren toten Freund Sjonni, der kurz vor der nationalen Ausscheidung an einer Hirnblutung verstarb. Wird trotzdem nicht für eine vordere Platzierung reichen.
Ballermann aus Spanien: Lucía Pérez und Männer in weißen Anzügen hopsen zu „Que Me Quiten Lo Bailao“ über die Bühne. Jessy Matador täte der Veranstaltung jetzt gut …
Stattdessen sing Mika Newton „Angel“ für die Ukraine. Dazu Nebel und Sand.
Retro-Soul: Nina aus Serbien mit „Caroban“ und wie im Semifinale, eindeutig die besten Strumpfhosen. Je häufiger man den Titel hört, um so lästiger wird er. Das ist aber nichts im Vergleich zu dem, was auf Startplatz 25 kommt (die haben tatsächlich die Kostüme aus dem Halbfinale wieder an). Alle die „One More Day“ von Eldrine aus Georgien schon einmal goutiert haben, werden beim Refrain weniger erschrecken als überraschte Ersthörer.
Das war’s. Alle 25 Titel sind über die Bühne gegangen. Es folgt der Schnelldurchlauf. Finnland klingt auf seine Art schon ein bisschen jämmerlich. Aber der Oskar ist halt so niedlich. Vielleicht doch die Dänen? Oder Bosnien-Herzegowina?
So. Das Voting ist beendet. Ab jetzt wird ausgezählt. Ich sag mal so: Spezi für alle! Es folgt: Jan Delay.
Vor der Punktevergabe wird die Wand zum „Green-Room“ eingerissen. Für einen Moment stand zu befürchte, Klaus Meine könnte dazu „Wind of Change“ pfeifen. Und dann gehen die ersten 12 Punkte von Russland an Aserbaidschan. Die ersten 7 Punkte für Deutschland kommen aus den Niederlanden. 6 Punkte gibt’s für Lena aus Italien. Nach fünf Auswertungen führt Griechenland.
Norwegen hat ein Herz für Lena und immerhin 5 Punkte. Weitere 6 Punkte kommen aus Island. Nach 12 von 43 Länder-Votings führt Schweden vor der Ukraine und Aserbaidschan. 8 Punkte gibt’s aus Dänemark für Lena. Unsere Freunde aus Österreich haben 10 Punkte für „Taken By A Stranger“, aber nichts für die Schweiz.
Deutschland vergibt 8 Punkte an Irland, 10 Punkte an Griechenland (haha!) und 12 Punkte für Österreich. Mannmannmann.
So, nach 21 Votings schaut’s wie folgt aus: Schweden (91), Aserbaidschan (85), Dänemark (83). Was ist das nur mit Aserbaidschan?
Die Schweiz hat 8 Punkte für Lena. Finnland kommt gar nicht in die Gänge. Schau an. Es ist jetzt 23.59 Uhr. 24 von 43 Nationen haben ihre Punkte bekannt gegeben. Es führt Aserbaidschan und scheint sich an der Spitze festzusetzen. Kann man mögen. Aber, erstaunlich, Italien rückt immer weiter nach oben. Nach 32 Votings hat Aserbaidschan 26 Punkte Vorsprung auf die Ukraine.
Italien liegt mittlerweile auf dem dritten Platz. Aserbaidschan führt und führt und führt. Was soll da noch kommen. Tatsächlich hätte ich keine Niere auf dieses Ergebnis verwettet.
So lieber Freunde des Eurovision Song Contest: Der bzw. die Sieger des Eurovision Song Contest 2011 stehen fest:
221 Punkte sind es am Ende: Aserbaidschan gewinnt mit Ell und Nikki und dem Titel „Running Scared“ das Wettsingen in Düsseldorf.
Auf den Plätzen folgen Italien und Schweden. Lena belegt mit 107 Punkten Platz 10. Schlußlich wird die Schweiz. Alle Punkte und Platzierungen gibt es hier.
Überraschung des Abends: 120 Punkte für Griechenland. Wo ist der Junge mit der Gitarre geblieben und was macht eigentlich Kati Wolf?
An dieser Stelle darf ich mich von euch verabschieden, nicht ohne noch einmal mit euch gemeinsam den Siegertitel gesungen zu haben:
- Love was in the air – Zweites Semifinale beim Eurovision Song Contest
- Fleisch, Dreck und Gesang