DOK Leipzig 2017: Von Kindern und Busfahrerinnen – Filmtipps Teil 3

Madona ist die einzige Linienbusfahrerin in Tiflis. Souverän steuert sie ihr marodes Gefährt durch die georgische Hauptstadt, 18–Stunden–Tage und schlechte Bezahlung inklusive. Die Wohnung in einem heruntergekommenen Plattenbau teilt sie sich mit ihrer Mutter. Gemeinsam mit ihren Kollegen streikt sie für bessere Arbeitsbedingungen. Fremde Regeln, fremde Welt – Nino Gogua begleitet ihre unprätentiöse und selbstbewusste Protagonistin durch den fordernden Alltag. Frauen altern hier früh.

Die Machos im chaotischen Stadtverkehr müssen sich warm anziehen. Aber nicht nur da. Wenn es sein muss, mischt Madona Zement, zieht Mauern hoch, stemmt Steinplatten aus dem Boden, treibt Handwerker zur Eile und wäscht zwischendurch noch das Auto. Madona hat sich ihren Platz in der georgischen Männergesellschaft hart erkämpft.

Am Weltfrauentag gibt es für die Männer doppelten Lohn und für die 57-jährige Madona wie immer nichts. Für die Kollegen ist sie sowieso mehr Mann als Frau – gleicher Lohn und gleiche Rechte bedeutet das aber noch lange nicht. Madona lässt uns nur selten hinter die spröde Fassade ihres entbehrungsreichen Lebens blicken, zu schmerzlich sind die Erinnerungen für sie. Ein Frauen–Porträt, das lange nachwirkt.

Madonna (Madona) von Nino Gogua, Länderfokus Georgien, Georgien, 2014, 58 Minuten.

Die Königinnen und Könige des Waldes

Tief in einem Wald in Norwegen treffen sich jeden Tag Kinder. Sie sind zwischen einem und sieben Jahre alt, und ihre einzige Aufgabe ist es, zu spielen. Die Erwachsenen sind Begleiter und Unterstützer. Keine Sprachkurse, keine Powerpoint–Präsentationen, kein frühkindlicher Bildungsquatsch, keine mobilen Endgeräte stören die Abläufe in diesem Kinderparadies. Die Natur wird mit allen Sinnen erfahren. Für die sechsjährigen Schulkinder ist Erzieher Kristoffer Impulsgeber für spielerische handwerkliche Projekte. Frische Luft, Bewegung, der Wald und seine Bewohner im natürlichen Wandel der Jahreszeiten, gemeinsames Backen und Singen – man möchte noch einmal Kind sein und diesen Waldorfkindergarten besuchen dürfen.

Aus Engeln werden Polizisten, werden Prinzessinnen und die Steckenpferde der Schulkinder nehmen Form an. Pioniere erkunden den Winterwald und legen einen Schneetrampelpfad für alle an. Alles geschieht mit einer ganz selbstverständlichen Ruhe und Aufmerksamkeit. Erzieher lauschen den Kindern und umgekehrt. Der Alltag ist von Liebe, Respekt und Zugewandtheit geprägt. Mittlerweile hat jedes Steckenpferd eine dichte Mähne. Die bevorstehende Einschulung beschäftigt die Kinder. Die handwerklichen Arbeiten werden schwieriger, hier wird den Kindern wirklich etwas zugetraut. Verantwortungsbewusst wird mit Hobel, Schnitzmesser und Raspel gearbeitet. Stolz werden die selbstgefertigten Stelzen eingeweiht. Der feierliche Abschied der Schulkinder rückt näher.

Unaufgeregt und fast beiläufig beobachtet Margareth Olin in “Childhood” ein ganzes Jahr die Kinder in ihrer Umgebung. Die Kamera stört den natürlichen Rhythmus und die Abläufe nicht. Wundersames hält der Wald für alle zu Ostern bereit. Geprägt von Informationen über dysfunktionale und chaotische Zustände in Kitas und Bildungseinrichtungen kommt der Zuschauer aus dem Staunen nicht mehr heraus. Kindgerechte Ansprache, gemeinsames Tun, Fördern ohne zu überfordern – es ist möglich, auch in großen Kindergruppen, man muss es nur wollen.

Childhood (Barndom) von Margreth Olin wird im Rahmen des DOK Leipzig 2017 nur am 4. November um 10.30 Uhr in den Passage Kinos zu sehen sein. Unbedingt anschauen!

Childhood (Barndom) von Margreth Olin, Internationales Programm, Norwegen, 2017, 90 Minuten.

Dina liebt Scott

Sagt “Hallo!” zu Dina. Dina fürchtet sich ein bisschen vor Zahnärzten, liebt ihren Freund Scott und die Kardashians abgöttisch und hat Angst vor dem Unerwarteten. Das Überqueren einer Straße, Weihnachtsvorbereitungen und der Kauf von neuen Möbeln kann so zur Herausforderung werden. Unterschätzt Dina nicht, sie kann auch anders, und das Leben hat ihr übel mitgespielt.

Liebe, Hochzeit, gemeinsame Wohnung – Dina hat sich belesen und nimmt beherzt das Ruder in die Hand. Der leicht lethargische Scott macht einfach mit. Kein Problem, Dina hat Energie für zwei. Die Kamera rückt den beiden Liebenden nicht zu dicht auf die Pelle, trotzdem ist es nicht immer ganz einfach so viel Nähe und Intimität auszuhalten. Dinas Junggesellinnenabschied ist nichts für schwache Nerven. Scott geht bowlen. Dina stöbert im lokalen Sex-Shop. Scott kauft sich einen schwarzen Anzug. Und dann die Sache mit der körperlichen Liebe – Dina schenkt Scott einen Ratgeber.

Für ihren Film, der so heißt wie ihre eigenwillige Protagonistin, wurden Dan Sickles und Antonio Santini mit dem großen Preis der Jury beim diesjährigen Sundance Festival in der Kategorie Dokumentation ausgezeichnet. Ihr solltet Dina auch unbedingt kennenlernen.

 

Dina von Dan Sickles und Antonio Santini, Internationales Programm, USA, 2016, 101 Minuten.