Berlinale 2013 – If you’re happy and you know it clap your fat
Tag zwei der 63. Internationalen Filmfestspiele in Berlin. Die ersten drei der 19 Filme, die um den Goldenen und die Silbernen Bären konkurrieren, sind gelaufen. Ein Beitrag über Liebe, Einsamkeit, Jägermeister und die Moral von der Geschicht – Filmvergnügen bis der Arzt kommt.
Was gut ist, kommt wieder, z.B. die Diskussion im Berlinale-Palast über die maximal zulässige Taschengröße und das Verbot, in den heiligen Hallen Flüssigkeit und Nahrung zu sich nehmen zu dürfen. Um Frustrationen beim Einlass zu vermeiden, wird nunmehr bereits die wartende Schlange darüber informiert, dass größere Rucksäcke und Taschen an der Garderobe abzugeben seien. Die relative zulässige Größe bemisst sich an der offiziellen Berlinale-Tasche. Allerdings bleibt unklar, wie sehr diese oder eine Tasche gleicher Größe dann tatsächlich in die Breite gehen darf. Ängstlich schmiegt der von Termin zu Termin eilende Pressevertreter seinen besten Freund an den dehydrierten Körper. Den Festival-Profi erkennt man bei den Vorführungen im Berlinale-Palast daran, dass er erst nach Einbrechen der Dunkelheit Stullen und Kaffee aus den Innentaschen seines Mantels zaubert. Und wenn der offizielle Festivaltrailer läuft, kann das Mahl beginnen.
Einsamer nie …
Mit „W imie…“ (In the Name of) von Malgoska Szumowska, die im vergangenen Jahr „Elles“ mit Juliette Binoche im Panorama der Berlinale präsentierte, hätten Tag und Wettbewerb nicht besser beginnen können. Der Priester Adam (herausragend: Andrzej Chyra) betreut in einem kleinen Dorf in der polnischen Provinz schwer erziehbare Jugendliche. Respektiert von den aggressiven, schwer zu bändigenden jungen Männern leidet Adam zunehmend unter der Last der Enthaltsamkeit, die ihm sein Amt auferlegt.
Der Wunsch nach körperlicher Nähe raubt den Schlaf, hetzt Adam laufend durch die Wälder. Im verzweifelten Suff tanzt Adam mit dem Papst unterm Arm in den heraufdämmernden Morgen. Zwei weitere Prüfungen werden ihm in Gestalt des Jesus gleichen Lukasz und des wasserstoffblonden Teufels Adrian geschickt. Zu Lukasz entbrennt er in verzweifelter Liebe, Adrian durchschaut ihn und teilt sein Wissen mit der kleinen Welt, in der sie gefangen sind. Andrzej Chyra spielt diesen Leidenden mit großer Würde und Hingabe. Schmerz, Trauer, Freude, Glück und Verzweiflung und die eine große Sehnsucht nach einer Umarmung – Szumowska und Kameramann Michal Englert (auch Drehbuch) folgen ihm präzise. Adam ist der einsamste Mensch der Welt und ein großes Geschenk für dieses Festival.
Der gute Mensch aus Amerika
Matt Damon hat mal wieder mit einem guten Freund ein Drehbuch geschrieben, die Hauptrolle übernommen, den Film produziert, und eigentlich wollte er auch Regie bei „Promised Land“ führen. Das hat nicht geklappt, deshalb durfte Gus Van Sant ran.
Co-Autor John Krasinski hat eine weitere Hauptrolle in dem US-Provinz-Öko-Drama übernommen. Die weibliche Hauptrolle wurde für Frances McDormand geschrieben, und das ist die beste aller Nachrichten.
Steve Butler (Damon) und seine Kollegin Sue (McDormand) sollen für einen Energieriesen irgendwo in der amerikanischen Provinz Farmer dazu bringen, ihnen die Förderrechte für Erdgas zu verkaufen, das unter ihrem Farmland lagert. Die Fördermethode ist riskant, aber die Farmer brauchen das Geld. Steve und Sue sind ein eingespieltes Team und wissen, wie sie sich mit der Landbevölkerung gemein machen können. Flanellhemden, schweres Schuhwerk, alter Pick-Up, die beiden überlassen nichts dem Zufall. Ein Öko-Aktivist bringt das scheinbar sichere Geschäft in Gefahr, und Steve und Sue müssen überprüfen auf welcher Seite sie stehen.
Soweit so unterhaltsam. Das ausgezeichnete Drehbuch und die bestens aufgelegten Darsteller präsentieren sich und das aller Ehren werte Thema ganz hervorragend, bis kurz vor Schluss. Dann muss Matt Damon eingefallen sein, dass er ja eigentlich doch immer die Guten spielt. Schwuppdiwupp wird ein Ende herbeigeschwurbelt, das leider die ersten 100 Minuten fast vergessen lässt. Bär für’s Drehbuch trotzdem nicht ausgeschlossen.
Die dicken Kinder vom Diätcamp
Ulrich Seidl ist sicher nicht als der Scherzkeks des europäischen Kinos bekannt. Viele seiner Werke sollte man sich nur bei guter psychischer Gefasstheit anschauen. Leider weiß man oft erst hinterher, wie labil die eigene Gemütsverfassung doch ist. Nach „Paradies: Liebe“ (Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele von Cannes) und „Paradies: Glaube“ (Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele von Venedig) ist der dritte Film der Paradies-Trilogie innerhalb von 12 Monaten im Wettbewerb eines A-Festivals zu sehen.
In „PARADIES: Hoffnung“ verbringen dicke Kinder ihre Sommerferien in einem Diätcamp in den Bergen. Unter ihnen die 13-jährige pubertierende Melanie. Der hormonelle Schwachsinn dieser Zeit geht weder an Melanie noch an ihren schwergewichtigen Zellengenossinnen spurlos vorüber. Defloration, Blasen, Küssen, Intimrasur – alles kommt zwischen sportlichem Leistungstest und Erstuntersuchung beim 40 Jahre älteren medizinischen Leiter des Camps zur Sprache. Da wird gesungen und gesprungen bis die Schwarte kracht und das Fett unter der weißen Pellwurstlagerkluft wogt.
Melanie verliebt sich in den schmierig jovialen Mediziner, dem die Avancen des einsamen Mädchens erst gefallen und dann doch lästig werden. Doktorspiele und Jägermeisterbesäufnisse – irgendwo dazwischen muss Hoffnung sein. Die stirbt ja sowieso zuletzt.
Singe, wem Gesang gegeben
Für Freunde von Wein, Weib und vor allem Gesang: Les Misérables von Tom Hooper mit Hugh Jackman, Russell Crowe, Anne Hathaway und sehr vielen Anderen mehr. Für den, der’s mag, das Größte. Wer bereits beim Trailer Anzeichen eines multiplen Organversagens an sich feststellt, macht um dieses 158-Minuten-Epos einen großen Bogen. Viel Glück!
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