Berlinale 2013 – Herr Müller verliert ein Bein und stirbt

Wenn sieben Menschen sich auf eine lange Reise begeben und nur einer von ihnen die letzte Etappe antritt, ist in der Zwischenzeit einiges passiert: Wasser muss fließen, Menschen müssen sterben und außerdem Karl-May-Festspiele am dritten Tag der 63. Berlinale.

Sollte einer der Wettbewerbsfilme, die an diesem Samstag gezeigt wurden, mit einem Bären ausgezeichnet werden, ist man geneigt, einen Besen zu fressen. Aber Vorsicht! Wir haben schon Kartoffelkeimlinge aus Körperöffnungen wachsen sehn.

Sascha liebt nicht große Worte, denn er war von eigner Sorte

Alexander Yatsenko und Anna Kotova in dem Film „Dolgaya schastlivaya zhizn (A Long And Happy Life)“ (Foto: dapd)

Sascha bewirtschaftet eine ehemalige Kolchose irgendwo am Ende der Welt. Da erhält er ein lukratives Angebot für Haus, Hof und Ländereien. Mit dem Geld könnte er sich und Freundin Anna ein neues Leben in der Stadt aufbauen. Sascha will der Verlockung nachgeben. Aber der Sascha in „Dolgaya schastlivaya zhizn“ (A Long and Happy Life) von Boris Khlebnikov ist ein guter Mensch und fühlt sich seinen Arbeitern verpflichtet. Auf deren Drängen hin schlägt er das Angebot aus und beginnt mit dem Bau eines Hühnerhauses. Leider sind seine Angestellten wankelmütig und suchen das Heil in der Ferne. Anna ist auch sauer, weil aus der Eigentumswohnung nichts wird.

Der Sascha baut weiter an seinem Hühnerhaus, aber nicht mehr lange.

Geld weg, Arbeiter weg, Land weg, Frau weg, Laune im Keller. Was tun? Der sanfte Sascha weiß nicht mehr weiter. In der bestn Sequenz des Films rast er mit seinem Transporter durch den Wald. Das Dröhnen des Motors und die vorbei fliegende Landschaft künden das Kommende an. Sascha wird zum Killer und bringt drei Männer um. Die Wälder rauschen, der Fluss auch, und die Anna wartet in der Stube auf ihn. Weil Freitag ist. Sascha zieht die Socken aus und legt sich ins Bett. Der Fluss rauscht einfach weiter. Ende.

Even Cowgirls Get the Blues

Nina Hoss in „Gold“ (Foto: dapd)

Im Sommer des Jahres 1898 bricht eine siebenköpfige Gruppe deutscher Einwanderer in Kanada mit Pferden und wenig Gepäck gen Norden auf. Unter Leitung des windigen Geschäftsmannes (zu erkennen an den langen fettigen Haaren unter einem glänzenden Zylinder) Wilhelm Laser will man die Goldfelder von Dawsen erreichen. 2500 Kilometer fordern alles von Mensch und Tier, nur die Schuhe bleiben bis zum Schluss sauber.

Thomas Arslan sattelt in „Gold“ die Pferde und Nina Hoss, Marko Mandic, Uwe Bohm und andere sitzen auf. Der wochenlange Trip hat in leuchtend bunten Farben die visuelle Anmutung eines Reiterurlaubs durch die sächsische Schweiz mit abschließendem Aufenthalt im Hochschwarzwald. Die Gesichter werden rußiger, die Mundwinkel hängen analog zur Dauer der Reise tiefer, die Dialoge bleiben hölzern und wollen weder zu den Figuren noch zu der Geschichte passen.  Die Gruppe will nicht so recht zusammenwachsen. Allein der Packer Carl Boehmer (Marko Mandic) und die einsame Amazone Emily Meyer (Nina Hoss) knüpfen zarte Bande.

Pferde sterben, Knochen brechen, die Zahl der Expeditionsteilnehmer wird weniger. Glück im Unglück nur, dass immer wenn Ross und Reiter vom rechten Weg abkommen, zufällig ein bis zwei Einheimische des Weges spaziert kommen die, gegen eine kleine Aufwandsentschädigung, bereit sind alle auf den rechten Trampelpfad zurück zu führen. Unglücklicherweise tritt der versoffene Journalist Gustav Müller (Uwe Bohm) in eine Bärenfalle. Zitat Joseph Rossmann (Lars Rudolph): „Das ist ein verfluchtes Pech, in einem so riesigen Land in eine Bärenfalle zu treten.“ Das ist korrekt. Müller verliert erst sein Bein durch langwierige Sägearbeiten, dann das Leben. Zu viel für den musisch veranlagten Rossmann. Der reißt sich die Klamotten vom Leib und wird wahnsinnig. Bleiben Emily und Carl. Doch deren Glück ist nur von kurzer Dauer. Schade.

Charlie rennt

Shia LaBeouf und Evan Rachel Wood in einer Szene von „The Necessary Death of Charlie Countryman“ (Foto: dapd)

Probleme machen uns zu dem, was wir sind, und davon hat Charlie (Shia LaBeouf) in „The Necessary Death of Charlie Countryman“ von Fredrik Bond eine ganze Menge. Unter anderem sprechen Tote zu ihm. So rät ihm seine Mutter zu einer Reise nach Bukarest. Charlie packt seinen Rucksack und fliegt von Chicago nach Rumänien. Während des Fluges stirbt sein Nebenmann. Das Vermächtnis des Verblichenen: Charlie soll dessen Tochter Gabi (Evan Rachel Wood) eine Mütze übergeben.

Charlie entbrennt in unsterblicher Liebe zu der schönen Cellistin. Das findet deren Gangster-Ehemann Nigel (auch durch bunte Dackelhemden nicht zu entstellen: Mads Mikkelsen) gar nicht gut. Außerdem ist da noch eine alte Rechnung mit Nachtclubbesitzer Darko (freundliches Szenengelächter für Til Schweiger) offem. Alles in allem schwierige Zeiten für Charlie.

Werbefilmer Fredrik Bond hat seinen ersten Langfilm als 107-Minuten-Clip angelegt. Die Geschichte wird von Erzähler John Hurt eingeleitet, und damit kann das wilde Märchen durch eine morbid wahnhafte Szenerie mit seltsamen Nachtgestalten beginnen. Sounddesign und Optik erinnern an „Drive“ von Nicolas Winding Refn, aber Shia LaBeouf ist nicht Ryan Gosling, auch nicht nachdem ihm Nigel und Darko das Gesicht zu Brei geschlagen haben. Macht aber nichts. Die Handlung fällt im Verlauf des Films nicht weiter störend auf. Charlie rennt, und wir sehen ihm gerne dabei zu. Jetzt muss nur noch der Soundtrack käuflich zu erwerben sein. Ansonsten: Spaß ist, was Ihr drauß macht!

http://youtu.be/-F1m3d7wQ_U

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