Abends, wenn ich schlafen geh’

In der Nacht wach geworden, steht die Zahnfee an meinem Bett. Sie macht einen angespannten Eindruck und erinnert an die Schwippschwägerin einer befreundeten Bekannten mit leichten Defiziten in den Bereichen Körperpflege und Mundhygiene.

Das lange fettige Haar ungeduldig über die Schulter zurückwerfend bellt sie:
„Und?“
„Was und?“
„Der Zahn!“
„Welcher Zahn?“
„Ich bin die Zahnfee, wie du sicher unschwer erkannt haben dürftest, denkst du ich komme auf ein Tässchen Doppelkorn? Mitten in der Nacht! Hältst du mich für bekloppt?“
„Ich kenn sie ja nicht …“
„Ist das der kindische Versuch mich zu beleidigen?“
„Nein!“
„Dann entschuldige ich mich hiermit für diese Unterstellung!“
„Angenommen.“
„Danke!“
„Bitte!“
„Wo ist jetzt der Zahn?“
„Kein Zahn!“
„Du bestellst mich hier her und hast keinen Zahn? Auch keinen alten?“
Kopfschütteln meinerseits.
„… oder einen von Kind I, Kind II oder dem Mitbewohner?“
„Nüscht!“
„Blöd!“
„Es muss sich um eine Verwechslung handeln! Ich habe niemanden hierher bestellt. Ich bin auf Besuch um diese Zeit gar nicht eingerichtet. Wie kommen sie überhaupt hier rein.“
„Wie, wie ich rein gekommen bin? Du bist ja witzig. Durch’s Fenster selbstverständlich, wie denn sonst. Außerdem: Ich verwechsle nichts. Nie! Kann ich mir gar nicht leisten. Die Nation zahnt ja täglich.“

Das Fenster ist geschlossen. Die Wohnung liegt im vierten Obergeschoss. Keine Nachfragen meinerseits. Die Dame ist emotional instabil und scheint mir körperlich überlegen zu sein.
“ … “
Die Zahnfee hustet trocken und spuckt etwas in ein Taschentuch.

„Gut, dass ich immer vorbereitet bin. Wir tun jetzt so, als ob das ein Zahn von dir wäre.“

Die Zahnfee reicht mir einen braunen Zahnstummel.

„Bitteschön!“

„…“

„…“

Ungeduld und Verachtung kreisen im Gesicht der Zahnfee, die sich Lippen und Damenbart mit einer übel riechenden Salbe bestreicht.

„Falls du Interesse an Schweineschmalz-Ringelblumensalbe aus eigener Produktion hast, sag Bescheid. Ich hätte da günstig das eine oder andere Tiegelchen abzugeben. So, jetzt zum Geschäftlichen: Wenn du mir „Deinen“ Zahn dann bitte geben könntest.“

Des Wartens müde nimmt sie den Zahn selbst und legt ein 50-Cent-Stück in meine Hand.

„Super! Geht doch! Dann alles Gute, viel Spaß damit und bis zum nächsten Mal!“

„Alles klar, ich freue mich!“

Die Fee bohrt den Zahn zurück in ihren Oberkiefer, setzt Skibrille und einen Helm auf, geht zum geschlossenen Fenster und verschwindet.

Im Anschluss daran noch lange ratlos wach gelegen.