DOK Leipzig 2011 – Männer, die durch Höhlen kriechen

Schuld und Sühne der Nachgeborenen – die Deutsch-Israelische Co-Produktion „Meine Familie, die Nazis und Ich“ von Chanoch Ze’evi wagt die Annäherung an ein schwieriges Thema deutscher Nachkriegsgeschichte. Wie leben die Nachkommen der mächtigsten Männer des Naziregimes mit dem Wissen um die Verbrechen der Väter und Großväter?

Bettina Göring, Großnichte von Hermann Göring, hat Deutschland den Rücken gekehrt und den Namen abgelegt. Katrin Himmler setzt sich schreibend mit dem Großonkel und der Familiengeschichte auseinander. Monika Göth, Tochter von Amon Göth, Kommandant des Lagers Plaszow bei Krakau, kämpft mit ihrer Verzweiflung, die Tochter eines Massenmörders zu sein. Eine Tatsache, vor der sie über Jahrzehnte die Augen verschlossen hat und der sie sich nach „Schindlers Liste“ von Steven Spielberg stellen musste. Der Dokumentarfilmer James Moll ist ihr in „Der Mördervater“ schon einmal deutlich näher gekommen.

Die radikalste Auseinandersetzung hat Autor und Journalist Niklas Frank, Sohn von Hans Frank, Generalgouverneur für die besetzten polnischen Gebiete gewählt. Er ist seit Jahrzehnten auf Spurensuche, der monströse Vater das Lebensthema. Stellvertretend für die ganze Familie arbeitet er sich an der Vergangenheit ab.

Rainer Höß, Enkel von Rudolf Höß, Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz, ist keine unumstrittene Person. Sein Umgang mit der Familiengeschichte, seine mangelnde Artikulationsfähigkeit und Selbstreflektion, sind ihm möglicherweise nicht vorzuwerfen. Sein Wunsch, eine Form von Vergebung oder Erlösung zu erfahren, durchaus nachvollziehbar. Als er auf Spurensuche in Auschwitz von einem Überlebenden des Todeslagers umarmt wird, ist die Wirkung aber beklemmend. Warum Ze’evi gerade Höß in seiner Dokumentation so viel Raum gibt und er auch als einziger Protagonist nach dem Film für Fragen und Antworten zur Verfügung stand, kann mit dem abwesenden Filmemacher nicht geklärt werden.

Ohne wertende Kommentare zeigt der Film die zweite und dritte Generation der Nachkommen. Sehenswert ist „Meine Familie, die Nazis und Ich“ trotz dramaturgischer Schwächen allemal. Im Rahmen des DOK Leipzig 2011 wird er aber nicht mehr zu sehen sein.

… und bist du nicht willig – Mutiger Sprung vom Baum der Erkenntnis

Wenn erwachsene Männer in Freizeitkleidung sich freiwillig von Bäumen abseilen und mit verbundenen Augen durch Erdhöhlen kriechen, nennt sich das Mitarbeitermotivationstraining, Teambuilding oder Persönlichkeitsveredelung. Eliten genießen hierzulande einen zweifelhaften Ruf. Zu Recht, möchte man nach Carmen Losmanns Beitrag “Work Hard – Play Hard” sagen.

Büro war gestern,  heute sollen Gebäude vermitteln, dass Arbeit kein Zwang sein muss. Mit mäßigem Erfolg, wenn man in die systemoptimierten Gesichter an ihren nonterritorialen Arbeitsplätzen blickt. Nicht jede gebärmutterartige Lampe scheint für eine „mega Wachstumsmentalität“ am Arbeitsplatz zu sorgen. Man muss sich im Laufe des 90-minütigen Films, der im Internationalen Wettbewerb des Festivales gezeigt wird, immer wieder daran erinnern, dass es sich um einen Dokumentarfilm handelt und nicht um eine Komödie über geistig schmal aufgestellte Systemoptimierer von Humanschnittstellen.

Wenn der vom Scheitel bis zum Smartphone windschlüpfrige Mitarbeiter sich nach einem tapfer absolvierten Assessmentcenter anhören muss, er wäre vielleicht etwas unlocker, entwickelt man mindestens mütterliche Gefühle für den vorgeführten Probanden. Was die Anthroposophen meinen, wenn sie von seelisch pflegebedürftigen Erwachsenen sprechen und warum die derzeitige Burn-Out-Outing-Welle nur die Spitze des Eisbergs ist, „Work Hard – Play Hard“ zeigt ein branchenübergreifendes Sittengemälde moderner Arbeitswelten.

Im Anschluss maximal optimierte Kopfschmerzen. Die „Doctors“ in Tomasz Wolskis Dokumentation über Ärzte der Warschauer „Johannes Paul II“-Klinik mussten ohne mich operieren. Ihr könnt den Film am Donnerstag und oder Samstag noch einmal sehen und mir davon berichten. Danke.

Und jetzt: Geht Bäume umarmen! Möge es nützen!

 

Die Filme:

Meine Familie, die Nazis und Ich

Regie: Chanoch Ze’evi

 

Work Hard – Play Hard

Regie: Carmen Losmann

Läuft noch am Freitag, 21.10., 17:30 Uhr in der Cinémathèque in der naTO und am Samstag, 22.10., 11:00 Uhr im CineStar 8

 

Doctors

Regie: Tomasz Wolski

Läuft noch am Donnerstag, 20.10., 20:00 Uhr im Polnischen Institut und am Samstag, 22.10., 11:00 Uhr im CineStar 6