Die Verkommenheit des leeren Kühlschranks

Auch wenn es einen anderen Eindruck macht, der Mensch ist ein soziales Wesen. Verlässt er aus Gründen Haus und Hof, um als flexibler Arbeitnehmer sein Glück in der Fremde (neudeutsch: Zweitwohnsitz) zu suchen, geht das häufig mit unmittelbar einsetzenden Verwahrlosungstendenzen einher. Ein Mindestmaß an Körperhygiene kann nur aufgrund regelmäßiger Präsenzpflicht im Büro aufrecht erhalten werden. Es sollen aber auch schon Betriebsangehörige in Pyjama und Morgenmantel gesichtet worden sein.

Der familiär Verwaiste gibt sich aber nur scheinbar auf. Tatsächlich übt er mittels exzessiven Fernsehserienkonsums täglich das Aufrechterhalten einfachster Kommunikationsformen. Wer nicht immer dem eigenen Spiegelbild beim Selbstgespräch zusehen möchte, freut sich, wenn zu einer fest verabredeten Zeit, die immer gleichen Gesichter in der guten Stube Einzug halten. Das Staffelfinale einer Serie ist vor diesem Hintergrund gleichsam angstbesetzt. Die DVD-Box ist hierbei nur unzureichender Ersatz, erfordert das Einhalten des Wochenrhythmus doch ein Höchstmaß an Selbstbeherrschung, und gerade daran mangelt es ja gerade am allermeisten.

Glücklicherweise bleibt die Kommunikation aber nicht nur auf gut gebräunte, durchtrainierte Herz- und Neurochirurgen beschränkt. Neben dem routinierten Selbstgespräch, das zunehmend auch in der Öffentlichkeit einfach weiter geführt wird, wendet man sich, nach einer gewissen Karenzzeit, auch unbelebten Gegenständen wie Stehlampen oder Duschkabinentüren zu. Manchmal reicht gemeinsames Schweigen unterstützt durch einfaches Handauflegen, um das innere Gleichgewicht wieder herzustellen. Sollte die Stehlampe allerdings eines Tages antworten, oder von sich aus das Gespräch suchen, muss rasch über die Unterbringung  in einer betreuten Einrichtung nachgedacht werden.

Ein bekannter Sonderfall ist der Kühlschrank, der als wiederkehrende Geräuschquelle einen gewissen Grad an Lebendigkeit suggeriert. Das Gerät erhält den Status eines Haustieres, nur besser, da er nicht regelmäßig ausscheidet und bei guter Pflege wenig schmutzt. Steter Quell des Zorns ist und bleibt aber seine Befüllung, zu der man sich verpflichtet fühlt. Erkennen wir doch an seiner Leere den Grad der eigenen Verkommenheit. Die dazu erforderlichen Einkäufe erschöpfen die Lebenskräfte aber in einem Maße, die zu lange anhaltendem Selbsthass führen. Zwischenzeitlich wird hier die Hinwendung zur Toilettenspülung empfohlen, die, bei korrekter Ausführung der Übung jenseits körperlicher Bedürfnisse, aber niemals betätigt werden darf. Atmen, innehalten, nicht spülen …

Um diesen Zersetzungstendenzen proaktiv entgegen zu treten, ist die Anschaffung von Hassobjekten zur Aggressionsabbau dringend angeraten. Also ein Staubsauger. Für den noch mehr Hass und Verachtung entwickelt werden kann, wenn er nach wenigen Wochen sein kleines unbedeutendes Staubsaugerleben aushaucht und der Kaufbeleg verschwunden bleibt. Dieses Plastikschrott gewordene Feinbild sorgt regelmäßig für eine gezielte Spannungsreduktion und trägt somit unmittelbar zur seelischen Gesundheit bei.

Die Wiedereingliederung in die Restfamilie gestaltet sich am Ende einer Montagewoche häufig schwierig. Das ist niemals die Schuld des sozial verkrüppelten Heimkehrers, aber das ist eine andere Geschichte …