Berlinale 2019 – Die Sehnsucht nach Wind und Fisch


Agnès Varda blickt in einem bewegenden autobiographischen Dokumentarfilm auf ihr künstlerisches Schaffen zurück, Elisa und Marcela sagen ja und Yoav lässt die Hosen runter. Tag sieben im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele Berlin.

Varda par Agnès Varda by Agnès © Cine Tamaris 2018

Inspiration, Kreation, Teilen

Die 90–jährige französische Filmkünstlerin Agnès Varda widmet sich selbst und ihrem Werk mit “Varda par Agnès”eine Dokumentation über ihr umfangreiches Schaffen. Indem sie von sich selbst erzählt, richtet sie ihren einfühlsamen und liebevollen Blick auf Geschichten und Menschen. Sie sind es, die die Schlüsselfigur des modernen Films zeigen will – dokumentarisch und fiktional. Die technischen Möglichkeiten haben sich in den vergangenen Jahrzehnten radikal verändert, Empathie und Klarheit ist der Ikone der Nouvelle Vague nie abhanden gekommen. 

Agnès Varda macht Filme nicht für sich allein – neben kreativer Inspiration und handwerklicher Kreation ist es das Teilen mit dem Publikum, das ihr Werk kennzeichnet. Der Alptraum jedes Filmemachers sollte der leere Kinosaal sein. “Varda par Agnès”, der im Wettbewerb der Berlinale außer Konkurrenz gezeigt wird, ist eine präzise aber niemals schulmeisterliche Lektion im Filmemachen.  Wie ihr nachlassendes Augenlicht verschwindet die Künstlerin in einem Sturm aus Sand.

Sie stehn im Regen und schmachten

Elisa y Marcela Elisa & Marcela Elisa und Marcela © Netflix

Elisa und Marcela lernen sich im ausgehenden 19. Jahrhundert auf einer Klosterschule kennen und lieben. Das zarte Glück wird von Marcelas Eltern jäh getrennt. Es folgt ein inniger Briefwechsel, der in langen Monologen vorgetragen wird. Drei Jahre später treffen sich die beiden wieder, ziehen zusammen, genießen die Freuden der körperlichen Liebe – mit Oktopus, Algen oder Milch. Doch ach, die katholische Dorfgemeinschaft ist noch nicht bereit für Elisa und Marcela. Die beiden treffen eine radikale Entscheidung – Elisa verschwindet und kehrt als Marco zurück. Die beiden heiraten. Doch die Ehe steht unter keinem guten Stern.

Die Verliebung in Isabel Coixets schwarz–weiß Herzschmerzkino „Elisa y Marcela“ (Elisa & Marcela | Elisa und Marcela) erfolgt so überraschend wie nicht nachvollziehbar. Der Wind weht durch welke Rosensträucher, es regnet, ein Vogelschwarm steigt auf. Die Kamera verharrt in jeder Pore und auf jedem Zahn – endlose Einstellungen sorgen für kultivierte Langeweile. Klebrig legen sich Klaviergeklimper und ein schwermütiges Cello über jeden Liebesakt. Der Busen bebt, die Oberlippe zittert – 113 Filmminuten wollen gefüllt sein, da darf ruhig alles etwas länger dauern. Emotionalster Moment: vereinzelte Buh–Rufe als im Vorspann das Netflix–Logo auftaucht.

Mach dich nackig

Nadav Lapid schickt im Wettbewerbsbeitrag „Synonymes“ (Synonyms | Synonyme) den ehemaligen Soldaten Yoav auf Großstadtsafari durch Paris. Der junge Israeli will so schnell wie möglich seine Nationalität ändern und Franzose werden. Sein Neubeginn in der Metropole geht zunächst gründlich schief. Nur dank der Hilfe eines bourgeoisen Künstlerpärchens überlebt er die erste Nacht. Fortan mäandert er ziellos und Vokabeln deklamierend durch die Stadt der Liebe. Lapid erzählt die Geschichte eines Suchenden, dessen Motivation ihm aber selbst nicht klar zu sein scheint. Yoav spricht viele große Sätze gelassen aus oder lässt einfach mal die Hosen runter. Warum auch nicht. 

Synonymes © Guy Ferrandis SBS Films 2