Berlinale 2017 – Männer, wollt ihr ewig leben?

Tief im Wald, da steht ein kleines Haus. Hier lebt Duszejko (wunderbar verschroben: Agnieszka Mandat), eine pensionierte Brückenbauingenieurin, Teilzeit-Englischlehrerin und Hobby-Astrologin, mit ihren beiden Hunden. Die Tierfreundin und Ökoaktivistin liefert sich mit den Jägern und dem örtlichen Pelztierfarmer eine Dauerfehde. Eines Tages verschwinden im polnischen Wettbewerbsbeitrag „Pokot“ (Spoor) von Agnieszka Holland (Hitlerjunge Salomon, Der geheime Garten) die beiden Hunde spurlos.

Leg dich nicht mit Duszejko an!

Der Wilderer “Big Foot” stirbt unter merkwürdigen Umständen. Der Polizeichef liegt mit eingeschlagenem Schädel im Wald. Wuchtige Streicher, Pauken und Hörner künden es an – die Jagdsaison ist eröffnet. Die degenerierten und gewalttätigen Männer des Ortes sind nicht mehr sicher. Wo wurde der fiese Pelztierzüchter zuletzt gesehen? Schlagen die Tiere des Waldes zurück? Wie weit würde die charismatische Einzelgängerin gemeinsam mit ihren anarchischen Freunden gehen? Tief im Wald, da steht ein kleines Haus. Hier lebt vielleicht auch bald ein Bär aus Berlin.

Kolonialismus für Anfänger

1947 zieht Lord Mountbatten (Hugh Bonneville), Urenkel von Queen Victoria, mit Frau (Gillian Anderson) und Tochter für sechs Monate ins Viceroy’s House in Delhi ein. Als letzter Vizekönig soll er den Übergang des Landes von der britischen Kolonialherrschaft in die Unabhängigkeit begleiten. Innerhalb der Palastmauern mit bis zu 500 Angestellten werden die Spannungen und Konflikte zwischen ethnischen und religiösen Gruppierungen im Kleinen sichtbar. In Haus und Hof eskaliert zunehmend die Gewalt – doch auch in diesen schweren Zeiten keimt eine zarte verbotene Liebe zwischen einem Hindu und einer Muslima. Kann die Nation geeint in die Unabhängigkeit gehen oder ist eine Teilung in Indien und Pakistan, wie Muhammad Ali Jinnah von der Muslim Liga sie fordert, unausweichlich?

Die Gewalt im Land eskaliert immer weiter. Längst haben die Briten die Kontrolle verloren. Mountbatten beschließt den Teilungsplan innerhalb von nur fünf Wochen umzusetzen. Der endgültige Verlauf der neuen Grenzen soll im Hauruckverfahren von Sir Cyril Radcliffe festgelegt werden. Im Viceroy’s House wird bereits das Tafelsilber gezählt und aufgeteilt. Die Briten sind very british und das Glück unserer bildschönen Liebenden steht weiter unter keinem guten Stern.

Alles so schön bunt hier

Die Teilung Indiens ist bis heute Gegenstand heftiger Debatten in Indien, Pakistan und Großbritannien. Hauptstreitpunkte sind die so genannte Radcliffe-Linie, die den Verlauf der neuen Grenzlinie markiert und die Rolle Mountbattens bei deren Entstehung. Wer wusste wann von der geplanten Teilung und welchen Verhandlungsspielraum hatte Mountbatten bei Amtsantritt überhaupt noch?

Gang of Four. @iamhumaq @gilliana @manishdayal #viceroyshouse #berlinale #berlinale2017 #berlin #filmfestival

A photo posted by Hugh Bonneville (@bonhughbon) on

Vor allem Mountbatten wurde dafür kritisiert, die Entscheidung über die Gebietsaufteilung unter zu großem Zeitdruck gefällt zu haben. „Viceroy’s House“ von Gurinder Chadha (außer Konkurrenz im Wettbewerb) ergreift Partei für den Vizekönig auf Abruf und bietet eine Mountbatten freundliche Lesart der Ereignisse an. Wurde der Chefunterhändler getäuscht?

Historisch verbrieft ist, dass aufgrund der bürgerkriegsähnlichen Zustände im damaligen Britisch–Indien die Teilung zur Befriedung so schnell wie möglich vollzogen werden sollte. In Folge der Unabhängigkeit von Pakistan und Indien im August 1947 kam es zu enormen Fluchtbewegungen, Gewaltausbrüchen und Pogromen innerhalb der Bevölkerung. Bis zu eine Million Menschen sollen ihnen zum Opfer gefallen sein.

Die Flöten schluchzen, die Geigen weinen und unsere Liebenden rufen laut den Namen des anderen in den Wind.

Nicht ohne meinen deutschen Schäferhund

Sebastián Lelio ist zurück im Wettbewerb der Berlinale. Nach seinem Kritiker- und Publikumsliebling Gloria (Silberner Bär 2013 für die beste Darstellerin) schickt er 2017 „Eine fantastische Frau“ (Una mujer fantástica – A Fantastic Woman) ins Bärenrennen.

Marina (Daniela Vega) verliert völlig unerwartet ihren Geliebten. Nach dem Tod des Textilunternehmers ist die Transgender-Frau den Schikanen durch Polizei und die Familie ausgesetzt. Wohnung, Auto und Hund sollen direkt den Besitzer wechseln. Ex-Frau und Sohn wollen die Person so rasch wie möglich aus ihrem Leben streichen. Gewalt und Schikanen eskalieren – der Gegenwind wird immer heftiger. Marina trifft eine Entscheidung und nimmt den Kampf um ihre Würde auf.

Marina lässt sich das Recht auf Trauer, Abschied und Schäferhund Diabla nicht nehmen. Lelio gelingt erneut ein starkes Frauenporträt, auch wenn er nicht ganz an “Gloria” anknüpfen kann.