Berlinale 2013 – Gloria sucht das Glück

Endlich! Nach dem viel versprechenden Einstand am Vortag festigt das Bärenfallengenre am vierten Tag der 63. Berlinale seinen bislang unterschätzten Stellenwert. Gloria sucht die Liebe, eine Nonne die Freiheit und Vic und Flo haben vielleicht einen Bären gesehen.

Sprechen wir aber zunächst über Körpergeruch. Im Schnitt wechselt der Berlinale-Besucher alle drei Stunden seine Sitznachbarn. Der ideale Partner für die Zeit, die man gemeinsam im Dunkeln verbringt, ist neutral, in jeder Beziehung. Motorisch, verbal, aber insbesondere hinsichtlich Körper- und Mundgeruch. Das erfordert eine gewisse Disziplin hinsichtlich Hygiene, Kleidung und Nahrungsaufnahme. Aber wenn wir uns alle ein kleines bisschen Mühe geben, wird die gemeinsame Zeit für alle schön.

Gloria!

Noch schöner wird der Tag mit „Gloria“ von Sebastián Lelio, der die erste begeistert beklatschte Heldin dieses Wettbewerbs auf die Leinwand gebracht hat. Gloria, 58, geschieden, zwei erwachsene Kinder, will nicht mehr allein sein. Die Nacktkatze ihres wahnsinnigen Nachbarn, die gerne mehr Zeit mit ihr verbringen würde, wird aus der Wohnung geworfen, die Nägel sind frisch lackiert, und los geht’s. Gloria geht feiern. Dass Frösche nicht zu Märchenprinzen werden – Gloria ist kein kleines Mädchen mehr. Das schale Gefühl, wenn die Party vorbei ist, geht an Gloria nicht spurlos vorüber, aber durch ihre großen Brillengläser hat sie schon ganz anderes gesehen. Eines schönen Abends begegnet ihr der sieben Jahre ältere ehemalige Marineoffizier Rodolfo. Die beiden landen im Bett, und nachdem er seine Stützbandage abgelegt hat, läuft es nicht schlecht.

Die beiden sehen sich wieder. Rodolfo zeigt Gloria seinen Paint-Ball-Vergnügungspark. Bei den häufigen Telefonanrufen von Rodolfos geschiedener Frau und seinen Töchtern verleugnet er die neue Frau an seiner Seite beharrlich. Seine Begründung dafür ist fadenscheinig.

Ganz anders Gloria. Sie möchte die Beziehung festigen und stellt ihren neuen Partner Sohn, Tochter und Ex-Mann vor. Und während die Familie feuchtfröhlich feiert, verschwindet Rodolfo aus der Wohnung. Gloria ist erst besorgt, dann verärgert. Trotzdem unternimmt sie eine kleine Reise mit dem Mann ihres Herzens. Rodolfo telefoniert und lässt Gloria erneut sitzen. Nach einer durchzechten Nacht kehrt Gloria zurück in ihre Wohnung, nimmt die Nacktkatze bei sich auf, nimmt sich Zeit für ihr Selbstmitleid und räumt dann auf. Eine schmerzhafte Erfahrung für Rodolfo.

Rodolfos politische Verwicklungen in Chiles Militärdiktatur lässt Filmemacher Sebastián Lelio immer wieder vage anklingen. Letztlich gehört dieser Film aber seiner großartigen Protagonistin. Gloria rückt ihre große Brille zurecht und tanzt sich frei. Ohne Bedenken würden die Pressevertreter an diesem Tag Hauptdarstellerin Paulina García sofort einen Bären schenken. Und jetzt: Musik!

Nach so viel Frohsinn und Lebensfreude ist es Zeit für Kontemplation und Gottesfurcht – Gauillaume Nicloux schickt uns mit seinem Wettbewerbsfilm „La Religieuse“ (The Nun) ins Kloster. Suzanne Simon (Pauline Etienne) muss in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, gegen ihren Willen, die Ordensgelübde in einem französischen Nonnenkloster ablegen. Die Eltern haben sich bei der Verheiratung der Geschwister finanziell ruiniert. Nach dem Tod der Mutter-Oberin ist Suzanne den Schikanen der neuen Äbtissin ausgesetzt, und die Zeit der Leiden beginnt. Es gelingt der widerständigen Nonne, Papiere aus dem Kloster zu schmuggeln, in denen sie Ihre Lebensgeschichte schildert und um die Entlassung aus dem Kloster bittet. Auf Umwegen lernt sie so ihren sterbenskranken Vater kennen, der bis zu diesem Zeitpunkt nicht von einer Tochter wusste.

Die Marter werden entdeckt, und Suzanne darf in ein anderes Kloster umziehen. Hier ist sie den Nachstellungen der lüsternen Mutter Oberin (herrlich: Isabelle Huppert), die ihr Begehren ins Wahnhafte steigert, ausgeliefert. Am Ende gelingt die Flucht aus dem Gemäuer, und Suzanne reist ins väterliche Schloss. Die solide erzählte Geschichte basiert auf dem bereits mehrfach verfilmten Roman von Denis Diderots.

Der Bär kommt!

In „Vic+Flo ont vu un ours“ (Vic+Flo haben einen Bären gesehen) von Denis Côté steht zu Beginn ein kleiner Pfadfinder an einer Bushaltestelle und spielt sehr schlecht auf einer Trompete. Vic , 61 Jahre alt, gerade aus dem Gefängnis entlassen, zieht bei ihrem ziemlich gelähmten aphasischen Onkel Émile ein und gibt dem Pfadfinder kein Geld. Ein blöder Fehler, das kann Vic zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht wissen. Vic wartet bei Émile auf ihre Freundin Flo.

Bewährungshelfer Guillaume meint es gut mit den Beiden. Flo mag auch Männer und schätzt die ländliche Einsamkeit nicht. Jackie hat noch eine alte Rechnung mit Flo offen. Ihr Kumpel bricht Flo mit einem Baseballschläger ein Bein. Flo verbringt einige Zeit im Rollstuhl. Dann wird der Gips aufgesägt.

Vic und Flo schauen Fischen beim Schwimmen zu. Dann besichtigen sie Lokomotiven in einem Museum, und Guillaume liest die technischen Eckdaten vor. Rächerin Jackie hat einen grünen Daumen und sitzt in einer Hängematte und wartet. Ihr Baseballschlägerkumpel spielt dazu sehr gut auf einer Gitarre. Flo will Vic perspektivisch verlassen. Vic ist sehr traurig. Dann schnappen die Bärenfallen zu. Der kleine Trompeter kommt vorbei, spielt einen Trauermarsch und hat leider keine Knochensäge dabei. Vic hat immer noch kein Kleingeld. Am Ende haben Vic und Flo keinen Bären gesehen, tot sind sie aber (wahrscheinlich) trotzdem. Guillaume ist traurig. Shit happens!

Mehr Filme mit Bärenfallen!

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