Berlinale 2012 – … und Batman weint

Wer meint, die eigene Familie wäre dysfunktional, der hat die Filme des Berlinale-Wettbewerbs nicht gesehen. Am Tag fünf im Angebot: Ein kleiner Dieb und eine Mutter, die keine sein will. Billy Bob Thornton macht einen Film über „Jayne Mansfield’s Car“, Väter und Söhne. Christian Bale legt sich ein Bäffchen um, weint und hat sein Batmobil vergessen. Leider. Halbzeit bei den 62. Internationalen Filmfestspielen in Berlin.

Der Austausch, Verlust oder Abgang von Körperflüssigkeiten in unterschiedlichsten Aggregatzuständen ist ein Thema, das Filmemacher unabhängig von ihrem Geschlecht und ihrer Nationalität umtreibt. Während in den vergangenen Jahren oft, gerne und ergiebig erbrochen wurde, steht in diesem Jahr das Urinieren im öffentlichen Raum im Fokus. Da will ganz viel raus aus den Protagonisten der Wettbewerbsbeiträge, stehend oder hockend, in geschlossenen Räume, in freier Natur, allein oder in Gruppen – was raus muss, muss raus.

Ansonsten bleibt es, wie beschrieben, familiär dysfunktional. In Ursula Meiers Wettbewerbsbeitrag „L’enfant d’en haut“ (Sister), sehen wir nicht nur die Vorleserin der Königin Léa Seydoux wieder, sondern auch Gillian Anderson die nach der fiesen Chefin von Clive Owen, eine reiche Mutter auf Urlaub spielt. Wichtigster Mann des Films ist aber Kacey Mottet Klein als Simon.

Das einsamste Kind der Welt

Simon ist 12 Jahre alt und ein kleiner Dieb. Jeden Tag fährt er vom Tal in die Ski-Gebiete, wo die reichen Urlauber sich tummeln. Er betreibt einen florierenden Handel mit Ski-Zubehör jeglicher Art. Von den Luxus-Brettern, über warme Oberbekleidung bis hin zur passenden Brille, Simon hat alles im Angebot. Simon organisiert nicht nur sein Leben und das seiner erwachsenen „Schwester“. Er sorgt auch für den gemeinsamen Lebensunterhalt und wenn Liebe käuflich wäre, Simon würde den letzten Franken dafür hergeben. Ein kleines Kammerspiel mit einem intensiven Hauptdarsteller.

Dann fährt Billy Bob Thornton als Regisseur, Drehbuchautor und Darsteller „Jayne Mansfield’s Car“ im Wettbewerb vor und hat sich mit Robert Duvall, John Hurt, Kevin Bacon und Robert Patrick hochkarätige Unterstützung für sein Südstaatendrama gesucht. Mit dem Einsetzen der Titelmelodie hat man das beruhigende Gefühl, dass hier Profis am Werk waren, die nicht nur irgendwas mit Film machen wollen, sondern die etwas von ihrem Handwerk verstehen. Kamera und Ausstattung machen den Film auch optisch zu einem äußerst angenehmen Kinoerlebnis.

Neue Männer braucht das Land

Alabama 1969. Familienpatriarch und Autowrackfetischist Jim Caldwell (Robert Duvall) erfährt, dass seine geschiedene Ehefrau in England gestorben ist. Für ihre neue Liebe Kingsley Bedford (John Hurt) hatte sie Jim und ihre vier Kinder verlassen. Ihrem letzten Wunsch entsprechend wird ihr Leichnam vom trauernden Witwer und seinen Kindern in die alte Heimat überführt. Jims drei Jungs haben einen ziemlichen Schaden (und seine Tochter auch, macht aber weniger Probleme), zwei davon besonders. Der eine sammelt Autos und pflegt ungewöhnliche Beziehungen zu Frauen, der andere gibt den zugedröhnten Kriegsgegner – allen gemeinsam ist ein schweres Kriegstrauma.

Thorntons Thema ist die allgegenwärtige Romantisierung einer Tragödie – was hat der Krieg aus Menschen gemacht, welche Opfer haben sie für ihr Land gebracht und was ist mit denjenigen, die nicht als Helden zurückgekommen sind? Wie viele Orden auf der Brust machen einen Mann zum Mann und zu einem wertvollen Mitglied der Gesellschaft?

Jim Caldwells hochdekorierte Jungs kommen im Leben nicht mehr klar. Was sie gesehen haben, darüber spricht man nicht. Männer schweigen – im Hause Caldwell herrscht der Post-War-Blues. Und auch die Gäste aus England haben ihr Päckchen zu tragen. Natürlich wird man dann doch den einen oder anderen Drink miteinander nehmen und andere Substanzen konsumieren. Dass Billy Bob Thornton seine Geschichte mag, merkt man an der einen oder anderen Länge. Weniger wäre manchmal mehr. Wir warten ab, ob die Jury genauso viel Spaß mit „Jayne Mansfield’s Car“ hatte, wie der Rest des Publikums.

And the blood goes ‚psssssssssssssssssss’ in slow motion

Und dann 141 Minuten Schlachtplatte aus dem Reich der Mitte – Chinas vielfach preisgekrönter Regie-Altmeister Zhang Yimou (Rotes Kornfeld, Rote Laterne, House of Flying Daggers) zeigt seinen Film „Jin líng Shi San Chai“ (The Flowers Of War / Die Blumen des Krieges) im Wettbewerb außer Konkurrenz. In der Hauptrolle Christian „Batman“ Bale. Alibithema des Filmvergnügens ist das Massaker von Nanking im Jahr 1937. Details sind unwichtig, Hauptsache viel rohes Fleisch.

Tatsächlich geht es also um die hyperrealistische Durchlöcherung sämtlichen menschlichen Gewebes, vom Scheitel bis zur Sohle und wieder zurück, mit Gewehrkugeln in Slow-Motion. Bild und Ton sind glasklar. Da spritzt das Blut, da fliegen die Fetzen, und wenn das alles nicht hilft, jagen explodierende Stilgranaten ganze Straßenzüge  in die Luft, oder man führt das Bajonett kraftvoll ein ums andere Mal in primäre Geschlechtsorgane ein. Nicht jeden hielt es da bis zum Schluss in den Sitzen.

Batman ist erst ein wenig Luftikus und dann doch der gute Hirte, und er weint viel in diesem Film. Mit ihm schluchzen 12 Schülerinnen eines Convents, die auf Rettung hoffen, eine gleiche Anzahl von Prostituierten und ein kleiner Junge. Wie sehr wünscht man sich da immer wieder Batmans Plastik-Strampelanzug und das Batmobil, damit endlich ein Ende sei. Oder wenigstens einen Gastauftritt von des Meisters Buttler Alfred in Gestalt von Michael Cain. Einfach nur so. Aber Batman heult weiter und die Geigen schluchzen. Ein Film für Hobby-Pathologen und Laien-Metzger. Na dann, gute Nacht.

 

 

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