Berlinale 2012 – Alle lieben Dieter
In der Bundeshauptstadt schlafen Menschen jeden Alters bis auf Weiteres vor roten Ticket-Schaltern in Einkaufscentern – die 62. Internationalen Filmfestspiele Berlin sind eröffnet. Ein Blogbeitrag über eine Festival-Jury die nichts erwartet, trappelnde Pferde auf Kopfsteinpflaster, wogende Busen und die alles entscheidende Frage: Kommt er oder kommt er nicht!?
Unklar, liebe Filmfreunde, ist sehr viel im Leben und auf einiges bis sehr viel werden wir nie eine Antwort erhalten. Tag eins der Berlinale und ein Schwerpunktthema, das uns durch die Filmfestspiele begleiten wird, zeichnet sich bereits ab: Wir müssen mehr Fragen stellen – die Kleider herunter reißen, den Putz von den Wänden kratzen und dahinter blicken. Wohinter muss im Einzelfall entschieden werden.
Die wichtigste Frage des Tages: Kommt Shah „In and as Don – The King Is Back“ Rukh Khan zur Deutschland-Premiere seines Films nach Berlin oder nicht. Der Meister aus Bollywood und bereits 2006 Hauptdarsteller in „Don – Das Spiel beginnt“ ist krank. Der Ansturm für den Bollywood-Blockbuster „Don 2“ war erwartungsgemäß groß, und alle Vorstellungen nach wenigen Stunden ausverkauft. Während der Eröffnungsgala verkündete Festivaldirektor Dieter Kosslick von der Kanzel aber frohe Kunde: Der Don kommt. Aber die einen sagen so, die andern so. Ihr kümmert euch bitte darum und lest des Meisters Tweets und sagt Bescheid. Danke.
Wir sagen nichts!
Vor dem Don gab’s heute aber noch ganz andere Sachen. Die Pressekonferenz der Internationalen Jury zum Beispiel. Eine erste Gelegenheit, Menschen wieder zu sehn, die man elf Monate vermisst hat, manche auch weniger.
Jury-Präsident 2012 ist einer der wichtigsten Vertreter des New British Cinema, der vielfach preisgekrönte Filmemacher Mike Leigh. Ihm zur Seite stehen: der niederländische Fotograf, Designer und Filmemacher Anton Corbijn, der zweifache Bärengewinner Asghar Farhadi aus dem Iran, die französisch Schauspielerin und Sängerin Charlotte Gainsbourg, der französische Regisseur und Drehbuchautor François Ozon, der 2011 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnete algerische Schriftsteller Boualem Sansal, die deutsche Schauspielerin und Sängerin Barbara Sukowa und US-Schauspieler Jake Gyllenhaal. Der Herr Gyllenhaal ist, kaum angekommen, bereits in ausgezeichneter Berlin-Stimmung und könnte mit dieser Laune auch mühelos ein Taxi oder einen Flughafen-Expressbus durch die Hauptstadt steuern. Toll. Sprechen mag er nicht, aber soviel ist zu erfahren: Der Dieter, der ist super. Das finden auch Herr Leigh und Herr Corbijn und Herr Ozon und Frau Sukowa und alle anderen auch. Alle freuen sich auf viele Filme und gemeinsame Mahlzeiten.
Nachdem das geklärt wäre, strömen wir in den Eröffnungsfilm: „Les Adieux à la Rein (Farewell My Queen – Leb wohl, meine Königin!) von Benoït Jacquot mit Léa Seydoux, Virginie Ledoyen, Diane Kruger und vielen anderen. Wer sich nach dem Ende des Films fragt „Warum?“, der wird keine Antworten erhalten haben. Die Busen wogen in Großaufnahme an vier Tagen im Juli des Jahres 1789 am Hofe König Ludwigs XVI. über die Leinwand. Es sind sehr schöne Brüste. Der Pöbel will Köpfe rollen seh’n, die Ratten sterben, Pferde trappeln über den kopfsteingepflasterten Innenhof. Sidonie, die Vorleserin von Marie Antoinette, ist ihrer Königin zutiefst ergeben und bereit, alles für die Herrin und Meisterin zu tun. Auf dem Weg zu ihrer Dienstherrin stürzt sie ein ums andere Mal. Eine tote Ratte schwimmt durchs Bild. Für größtmögliche Spannung sorgt eine entscheidende Sequenz des Films, die in sämtlichen Ankündigungen falsch beschrieben wurde. Da Freunde üppiger Roben und gepuderter Perücken den Film noch gerne sehen möchten, sei nicht verraten, was gemeint sein könnte. Nach 100 Minuten ist der Film aus. Wir haben die Zeit im Warmen verbracht. Der Don kann kommen.
Hermann, go!
Bevor der Don kommt, werden alle Freunde, Förderer und sonstige Gönner des Films vorgestellt. Es ist die Ruhe vor dem Sturm.
Der Don soll sterben. So hat es ein europäisches Gangsterkartell beschlossen. Aber die Ganoven haben die Rechnung ohne den Don gemacht. Don ist der King und ein soziopathischer Schwerverbrecher mit Schlag bei den Frauen.
Der Don macht keine Gefangenen, ist ein Meister aller Kampftechniken und kann mit Handfeuerwaffen, Messern, Stahlketten und Stemmeisen gleichermaßen virtuos in die Schlacht ziehen. Da bleibt kein Schienbein ganz. Außerdem kann der Don singen und tanzen und sieht auch in finsteren Clubs mit seiner schwarzen Sonnenbrille alles. Bollywood-Superstar Shah Rukh Khan spielt nach „Don 1“, „Don 2“.
Für Freunde des schwarz-weißen Arthouse-Kinos, ohne Dialoge, mit nur einer Kameraeinstellung auf ungeschälte Kartoffeln, ist diese Projektion140 Minuten Folter.
Der Don liebt die Frauen, das Glückspiel und kann kleine Tricks mit seinem goldenen Zippo. 198% des Films wurden in Berlin gedreht. Der böse Direktor der Deutschen Zentral Bank heißt Dr. Kohl. Und während der Karl noch auf den Aufzug wartet, gehen Sven und Ulrich zu Fuß ins 35. Stockwerk. Wenn sie oben ankommen, ist der Don schon weg.
Den Don kann auch in Berlin nichts aufhalten. Florian Lukas kämpft am Ende tapfer an der Seite des Dons und Nawab Shah hat einen wirklich gewaltigen Brustkorb.
Karl, bring me his head!
Nach „Don – The Kind Is Back“ keine Fragen mehr.
Oscar-Nominierung des Tages geht an die Busen-Hochschnür-Bindetechnik von „Lebe wohl, meine Königin!“
Noch mehr Filme, Stars und Glitzer gibt’s im großen Special auf LVZ-Online und hier.
- Mütterchen Frost
- Berlinale 2012 – Toter Mann was nun?