Berlinale 2011 – Kinder, Tiere, Kevin Spacey und der Verlust von Lebenszeit
Nach der Eröffnung kommt der Wettbewerb: Von Filmen, die um einen der begehrten Bären konkurrieren, Mangelernährung und Schlafstörungen. Warum Kinder und Tiere noch keinen guten Film machen und neues zur Frauenquote, heute mit Demi Moore.
So wie das Wetter in Berlin ist das Leben eines professionellen Berlinale Besuchers nicht immer nur rosig und Sonnen beschienen. Den ganzen Tag im Kino abhängen und dafür auch noch bezahlt werden – weit gefehlt liebe Daheimgebliebenen. Er kämpft mit Seinesgleichen um die beste Randplätze im Kinosaal und einen Stehplatz in einer der zahllosen Pressekonferenzen. Er hetzt von Termin zu Termin, schläft wenig und ernährt sich schlecht, manchmal auch nur heimlich. Ab Tag drei rafft es ein Drittel bis die Hälfte der akkreditierten Pressevertreter krankheitsbedingt dahin, was für alle mit stabilem Immunsystem Vorteile bei den Platzverteilungskämpfen hat. Wer sich nicht alleine auf seine Abwehrkräfte verlassen möchte, führt immer Desinfektionsmittel mit sich, trägt Mundschutz (sieht im dunklen Kino sowieso keiner) und isst zwischen den Vorstellungen Knoblauchbrote, gerne auch im Kinosaal. Außerdem ist nicht alles Gold, was da auf der Leinwand glänzt, und nicht jeder Filmemacher weiß mit der Lebenszeit seiner Zuschauer sorgfältig umzugehen.
Der erste Film im Rennen um einen der begehrten Bären ging hierbei noch umsichtig zu Werke. Mit „Margin Call“ ist dem New Yorker Filmemachers JC Chandor (auch Drehbuch) ein überaus smartes Spielfilmdebüt über Männer mit Hosenträgern gelungen. Die Darstellerriege des Films zur Finanzkrise ist erlesen: Kevin Spacey, Paul Bettany, Jeremy Irons, Simon Baker, Stanley Tucci und Demi Moore als die Quotenfrau, deren Kopf rollen wird, um nur einige zu nennen. Ort des Geschehens ist eine New Yorker Investmentbank im Jahr 2008. Wir erleben die letzten 24 Stunden vor dem Zusammenbruch.
So smart wie der Film sind seine Protagonisten, bis der junge Analyst Peter Sullivan (Zachary Quinto), von Haus aus gelernter Ingenieur, bei der Überprüfung von Unterlagen erkennt, dass die Bewertungen, auf denen das Geschäftsmodell der Firma beruht, fehlerhaft sind. An dieser Stelle wage ich zu behaupten, dass es mindestens 90 % der Kinobesucher nicht möglich ist, en Detail die komplexen Zusammenhänge, die von den Darsteller verhandelt werden, tatsächlich auch zu verstehen. Dabei befindet man sich allerdings in bester Gesellschaft mit einigen Angestellten der Bank. Als im Laufe der Nacht immer deutlicher wird, wie tief alle bereits im Unrat waten, werden die Bartschatten dunkler, und die Krawattenknoten rutschen tiefer. Als letzter Befreiungsschlag sollen am Morgen alle „toxischen“ Papiere abgestoßen werden, mit verheerenden Folgen, nicht nur für die Wall Street.
Bezeichnenderweise sind es zwei Ingenieure, der bereits erwähnte Peter Sullivan und sein frisch entlassener Ex-Vorgesetzter Eric Dale (Stanley Tucci), die die Lage der Investmentbank erkennen. Ingenieure waren es, die mit ihren Plänen und Konstruktionen Pionierleistungen in Amerika vollbringen konnten, jetzt müssen sie den Anfang vom Ende verkünden. Zum Schluss bricht die Bank zusammen, und ein Hund stirbt auch an einem Krebs-Geschwür. Nicht der einzige Grund warum in diesem Film Männer zu Tränen gerührt werden. Und was ist mit den Frauen? Demi Moore wird zu Beginn des Films beschimpft, später wird sie diejenige aus der Führungsriege sein, die gefeuert wird. Die Jungs konnten wahrscheinlich einfach besser rechnen als sie.
Der zweite Wettbewerbsfilm des Tages, „El premio“ (The Prize) von Paula Markovitch, ist ebenfalls ein Spielfilmdebüt und soll, so die Filmemacherin, eine Collage aus Kindheitserinnerungen sein. Die 7-Jährige Ceci (Paula Galinelli Hertzog) lebt mit ihrer Mutter Silvia (Sharon Herrera) in einer heruntergekommenen Hütte am Meer, irgendwo in Argentinien. Mutter und Tochter sind auf der Flucht vor der Militärdiktatur. Verwandte sind bereits gestorben. Der Vater von Ceci ist möglicherweise auch tot.
Ceci ist einsam in der Isoliertheit der Hütte mit einer apathischen Mutter. Freunde findet sie in der Schule, die sie besuchen darf. Das Kind ist der Willkür der Mutter, der Gezeiten, der Lehrerin und der feindlichen Umwelt ausgeliefert. Auf glückliche Stunden folgen Kälte, Kummer und Schmerz. Ceci muss lügen, um das Leben der Mutter und ihr eigenes nicht zu gefährden, und weiß am Ende nicht mehr, was gesagt werden darf und was nicht.
Kinder sind super! Die Kamera von Wojciech Staron fängt die kleinen Darsteller, insbesondere die ausdrucksstarke Paula Galinelli Hertzog, und die schaurig schöne Landschaft ausdrucksstark ein. Die klamme Kälte der Hütte kriecht einem förmlich in die Knochen. Die Stärke der kleinen Darstellerin kann aber nicht über die Konzeptlosigkeit und vor allem die Länge des Films hinwegtäuschen. Ein Kurzfilm vielleicht, ein Langfilm auf keinen Fall. Die Kinderfalle (es gibt auch einen sehr schönen Hund) verfängt nicht. Am Ende ist man froh, dass es vorbei ist. Die Lebenszeit gibt einem keiner zurück.
Und morgen? Morgen gibt’s die Plastikkarte zum Glück, noch mehr Wetter und ganz sicher Neuigkeiten zur Frauenquote.
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