Berlinale 2011 – Ein Tag in 3-D und ein Film für Pina Bausch
Tanz als Ausdruck des Lebens – Wim Wenders hat gemeinsam mit dem Tanztheater Wuppertal einen Film für PINA geschaffen und uns den bisherigen Höhepunkt der Berlinale geschenkt. Außerdem: Mit Werner Herzog auf Höhlen-Tour, Kinderfernsehen im Rennen um einen der Festival-Bären und warum nächstes Jahr alles besser wird.
Es sind ja sehr viele Menschen bei den 61. Internationalen Filmfestspielen von Berlin, trotzdem sind Filmegucker sehr einsame Menschen, und das hat auch einen Grund. Da gibt es also Stars und solche, die es einmal werden wollen, Produzenten, Drehbuchautoren, Filmschaffende sonstiger Couleur, eine größere Anzahl von Journalisten und Menschen. Die könnte man alle treffen. Gerade der Potsdamer Platz scheint dafür wie geschaffen, findet doch ein Großteil der Festival-Aktivitäten dort statt.
Es gibt nur ein klitzekleines Problem: Zeit! Wochen vor dem eigentlichen Ereignis werden erste SMS geschickt. Vor-Verabredungen für einen schnellen Kaffee getroffen. Einige Termine können möglicherweise beim gemeinsamen Filme gucken stattfinden. Bei rund 400 Filmen ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass genau das nicht gelingt. Also telefoniert man und verfehlt sich, weil vergessen wurde, nach dem letzten Film das Mobiltelefon wieder mit einem Geräusch zu versehen. Ganz sicher ist man aber gerade da, wo der andere nicht ist, und die Pause zwischen zwei Filmen deckt sich nie mit der Taktung des anderen. Also sinkt man sich kurz vor der Abreise für fünf lange Minuten in die Arme und freut sich schon auf’s nächste Jahr – da wird nämlich alles viel, viel besser.
Der Wettbewerbssonntag stand ganz im Zeichen von 3-D, auch wenn nur einer der gezeigten Filme tatsächlich um einen der Festival-Bären konkurriert. Bezeichnenderweise war dies nicht nur der erste sondern auch der schwächste Film des Tages. Michel Ocelots Animationsfilm „Les contes de la nuit“ (Tales Of The Night) ist ein Scherenschnitt-Episoden-Märchen, das besser als eine Serie von 15-Minütern ins Sonntags-Vormittagsprogramm eines Kinderkanals passen würde.
Nacht für Nacht treffen sich ein Junge, ein Mädchen und ein Techniker in einem alten Kino. An diesem magischen Ort können seltsame Dinge geschehen und die beiden Freunde tauchen wieder und wieder in die Geschichten und Mythen fremder Kulturen ein. Und versucht das Böse auch noch so sehr die Oberhand in den märchenhaften Geschichten zu erlangen, am Ende siegt doch immer wieder das Gute. Die Bilder sind hübsch anzusehen, der Rest ist Amateur-Kindertheater.
Bevor wir uns den Höhepunkt des Tages vornehmen, wenden wir uns einer Sondervorführung zu, die außer Konkurrenz im Wettbewerb gezeigt wird. In der Chauvet-Höhle in Südfrankreich entdeckten Höhlenforscher 1994 die ältesten derzeit bekannten Höhlenmalereien. Die rund 400 gefundenen Gemälde sind bis zu 32.000 Jahre alt. Die Höhle ist für Besucher gesperrt und auch Forschern nur wenige Monate im Jahr zugänglich. So soll dieses einzigartige Menschheitserbe vor der Zerstörung geschützt werden. Stellvertretend für die Öffentlichkeit erhielt Filmemacher Werner Herzog die Möglichkeit, diese einzigartigen Zeugnisse früher menschlicher Zivilisation mit der Kamera festzuhalten.
Werner Herzog ist der Geschichtenerzähler in die Stimme gelegt, und so folgen wir ihm gerne hinab in die Finsternis der „Cave Of Forgotten Dreams“. Mit Handkameras und wenig Licht war es Herzog und seinem kleinen Team gestattet, sich tief hinein in den Fels zu begeben. Vor und neben uns ragen Tropfsteine und bizarr gewachsene Kristalle auf, als plötzlich vor uns Büffel, Wollnashörner und Pferde auftauchen. Plastisch und lebensecht, als seien sie gerade erst an den Wände hinterlassen worden. Wir können ihnen uns nähern, aber ihre letzten Geheimnisse werden sie nicht preisgeben. Das Mysterium derer, die diese Zeichnungen der Nachwelt hinterlassen haben, bleibt im Dunkeln zurück.
Tanzt um euer Leben …
Mitten in den Vorbereitungen für einen lange geplanten gemeinsamen Tanzfilm verstarb im Sommer 2009 völlig überraschend die Lichtgestalt des Tanztheaters, Pina Bausch. Nach einer Zeit des Trauerns ergriff Regisseur und Drehbuchautor Wim Wenders das Projekt neu auf, und anstelle eines Films mit und über die Leiterin des Tanztheaters Wuppertal entstand ein Film für PINA, in 3-D. Die Berlinale zeigt den Film außer Konkurrenz im Wettbewerb.
Getanzte Erinnerungen langjähriger Ensemble-Mitglieder und junger Nachwuchstänzer verbinden Ausschnitte aus den Stücken „Café Müller“, „Le Sacre du Printemps“, „Vollmond“ und „Kontakthof“. Schauplätze sind die Bühne, die Straßen Wuppertals, Halden, Brachen und Industriedenkmäler des Ruhrgebiets – die Heimat der 1940 in Solingen geborenen Ausnahmekünstlerin.
Streng, schonungslos gegen sich selbst, blass, zerbrechlich und doch voll Kraft und Energie bis in die letzte Faser des ausgezehrten Körpers hinein tanzt Pina Bausch in „Café Müller“. In wenigen Szenen zeigt sie sich bei der Probenarbeit mit ihrer Kompanie.
Dem Film gelingen Bilder von unglaublicher Schönheit. Durch die Umsetzung in 3D nimmt uns Regisseur Wenders mit auf die Bühne, mitten hinein zwischen die Tänzer. Es regnet auf uns nieder, wenn auf der Bühne die Wassertropfen durch die Luft fliegen. Schmerz, Kraft, Einsamkeit, Trauer, Groteske, Lebensfreude – für scheinbar jede Nuance des Lebens schenken uns Pina und ihre Tänzer eine Bewegung. Pina sieht ihre Tänzer als Menschen, nicht als Bewegungsmaschinen und so fühlen wir uns auch ein wenig gesehen in ihren Werken, die voll Liebe für unser Dasein sind. Tänzer jeden Alters sind Teil ihres Tanztheaters Wuppertal. Den Ausdruck, den Pina Bausch in den jungen und in den gelebten Gesichtern, Körpern und Bewegungen gesehen und erspürt hat, können wir durch diese Verbeugung vor ihr und ihrem Werk mehr als nur erahnen. Wonach sehnen wir uns – vieles davon finden wir in den Choreographien von Pina Bausch.
Der Schmerz des Verlustes trifft uns durch Wenders Blick auf diese Leben noch einmal. Neben PINA werden alle anderen Wettbewerbsfilme sehr klein. Unter den Augen dieser Mentorin wäre man auch gerne gewachsen.
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