Berlinale 2015 – Bernhard heißt er, ist Bademeister

Die Berlinale liegt in den letzten Zügen, die Kritiker auch. Die erste Wettbewerbsaufführung um 9 Uhr füllt sich am Morgen nur noch schleppend. Beim Gehen stolpert man in nach dem Mondzyklus aufgestellte Absperrbänder. Bei größerem Andrang werden Vordrängler lautstark und rüde aufgefordert, sich ordentlich ins Glied einzureihen. Die Kritikerwertungen in der Tagespresse sind sichtbar ausgedünnt, Mut zur Lücke macht sich bemerkbar. Und tatsächlich haben die Kollegen wenig verpasst.

Tag acht der Internationalen Filmfestspiele Berlin beginnt mit „Elser“ („13 minutes“) von Oliver Hirschbiegel (Der Untergang). Der Film läuft im Wettbewerb außer Konkurrenz.

Der gelernte Schreiner Johann Georg Elser (Christian Friedel) aus Königsbronn auf der Schwäbischen Alb verübte am 8. November 1939 im Münchener Bürgerbräukeller ein Bombenattentat auf Adolf Hitler und nahezu die gesamte NS-Führungsspitze. Da der geplante Rückflug nach Berlin aufgrund von Nebel nicht durchgeführt werden konnte und er stattdessen in einem Sonderzug die Rückreise antrat, verließ Hitler mit dem Führungsstab das Gebäude 13 Minuten bevor die durch einen Zeitzünder ausgelöste Bombe explodierte.

 

Der Film verfolgt zwei Handlungsstränge. Elser muss 1933 in sein Heimatdorf Königsbronn zurückkehren, um die Familie zu unterstützen, bevor sein Vater Haus und Hof versäuft. Hier erlebt er die Zeit des politischen Umbruchs und lernt seine große Liebe Elsa (Katharina Schüttler) kennen.

Einen weiteren Schwerpunkt legt Hirschbiegel auf die Verhöre nach dem gescheiterten Attentat, durchgeführt vom Kripochef im Reichssicherheitshauptamt, Arthur Nebe (Burghart Klaußner), und Gestapo-Chef Heinrich Müller (Johann von Bülow). Die Indizien sind erdrückend, aber der Führer will ein Geständnis und vor allem will er Hintermänner. es darf nicht sein, dass ein Einzeltäter in der Lage war, Nazi-Deutschland derart vorzuführen. Für alle, die bei „Fifty Shades of Grey“ etwas vermisst haben, hier wird gefoltert, was das Zeug hält. Doch mit Gewalt erreicht man bei Sturköpfen von ‚dr Alb ra‘ nichts.

Das Versprechen Nebes, seine in Sippenhaft befindliche Verlobte zu verschonen, führt zu einem ersten umfassenden Geständnis. Die Zeichnung von Plänen und technische Demonstrationen überzeugen Nebe von Elsers Einzeltäterschaft. Der zutiefst widersprüchliche Nebe, ein überzeugter Nazi und verantwortlich für Massentötungen z.B. bei der Aktion T4, wurde kurz vor Kriegsende aufgrund seiner Kontakte zu den Widerstandskämpfern des 20. Juni im Gefängnis Plötzensee durch den Strang hingerichtet.

Die Führung will weiter Namen. Die fortgesetzte Folter führt zu keinen weiteren Ergebnissen. Ein solider Film über die Nazi-Zeit, mit einem sympathisch zurückgenommenen Hauptdarsteller und vor allem in den Nebenrollen teilweise herausragenden Darstellern. Nach fünf Jahren Lagerhaft wird Elser kurz vor Kriegsende und drei Wochen vor der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau durch einen Genickschuss von Angehörigen der SS hingerichtet.

Demnächst häufiger im Fernsehsender ihres Vertrauens.

Sei ein Mann – oder nichts!

Hana, gespielt von der einzigartigen Alba Rohrwacher, wächst in einer abgeschiedenen Bergregion Albaniens auf.  Dort wird das Leben der Menschen vom mündlich überlieferten Gewohnheitsrecht des Kanun bestimmt. Dieser vermutlich aus dem Mittelalter stammende Kodex regelt verbindlich das Leben der Menschen. In vielen Regionen kommt der Kanun bis heute zur Anwendung. Vor allem in ländlichen Gebieten Nord-Albaniens steht der Kanun innerhalb der albanischen Großfamilien über der modernen Rechtssprechung. Frauen spielen im Kanun eine untergeordnete Rolle und haben kaum Rechte. Der Vater einer Tochter legt eine Gewehrpatrone der Aussteuer bei. Sollte ihr Ehemann mit ihr nicht zufrieden sein, wird er sie mit dieser Kugel erschießen. Die Frau ist Eigentum des Familienoberhaupts. Diesem Schicksal kann eine Frau nur als „Eingeschworene Jungfrau“ entgehen. Diese Frauen verzichten auf jegliche Form von sexuellen Beziehungen. Innerhalb einer Familie übernehmen sie die Rolle eines Mannes und sind auch erbberechtigt, was Frauen sonst nicht gestattet ist. Der Schwur wird vor den Ältesten der Gemeinde abgelegt. Fortan werden sie von der Gemeinschaft wie Männer behandelt. Als solche ist es ihnen gestattet Hosen und Waffen zu tragen, sie dürfen rauchen und sitzen bei Zusammenkünften mit den Männern gemeinsam an einem Tisch. Außerdem sind sie Teil der Blutrache.

 

Um dem Schicksal als rechtlose Frau zu entgehen, legt Hana im Wettbewerbsbeitrag „Vergine giurata“ (Sworn Virgin) von Laura Bispuri den Jungfräulichkeitsschwur ab. Fortan heißt sie Mark. Haar, Kleidung und Gang sind burschikos. Die Brüste werden mit Binden fest an den Körper gebunden. Nach dem Tod des zutiefst verehrten Ziehvaters kümmert sie sich um das Haus und die Tiere. Jahre später kann sie ihre eigenen sexuellen Bedürfnisse nicht mehr unterdrücken. Sie verlässt ihre Heimat und reist zu ihrer Ziehschwester nach Italien. Wir begleiten Hana/Mark durch ihre Kindheit. Gleichzeitig sehen wir ihre Versuche in Italien Fuß zu fassen und sich selbst (wieder) zu finden. Kraftvoll, neugierig und suchend bewegt sie sich voran. Die Öffnung gelingt langsam.

Ihre Schwester und deren Tochter stehen ihr zunächst ablehnend gegenüber.  Rohrwacher tastet sich langsam in ihr neues Leben vor. Bernhard (Lars Eidinger), der Bademeister in der Trainingsschwimmhalle von ihrer Nichte, eignet sich ausgezeichnet als Objekt ihrer stillen, dann zupackenden Begierde.  Ein großartiges Debüt von Laura Bispuri, das verdient, mit viel Applaus bedacht wurde. Insbesondere Alba Rohrwacher darf sich Hoffnung auf einen Bären bei der diesjährigen Berlinale machen.

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