Wenn Menschen zu Tieren werden

Nutztiere, liebe Freunde von Mast- und Schlachtvieh, sind in ihrem kurzen Dasein nicht nur widrigen Lebensbedingungen ausgesetzt, sondern werden bei Meinungsverschiedenheiten auch gerne zur Schmähung des Kontrahenten missbraucht (kommen Sie mir jetzt nicht mit Honigbienen). Im Gegensatz dazu dienen Haustiere (… in ihrem oft sehr kurzen Dasein unter widrigen Lebensbedingungen), neben ihrer Funktion als bester Freund und einziger Kommunikationspartner, verbal häufig zur Verniedlichung und Besitzstandswahrung in Paarbeziehungen („Mein kleines Meerschweinchen!“).

Als ich vor einigen Tagen am Erstwohnsitz gemütlich mit Kind I beisammen saß, um bei der Erstellung des Lageplans einer frühmittelalterliche Klosteranlage inklusive Aderlasshaus, Darre, Friedhof und Latrine (wir hatten, erschlagen von der schieren Fülle an Kreuzgängen, Torhäusern, Altären und Schlafkammern für Knechte, immer wieder ein wenig gemeinsam geweint) geistigen Beistand zu leisten, wurden wir Ohrenzeugen eines Disputs der Nachbarn. Die Ebene des Dialogs und der Sachlichkeit wurde dabei nie berührt.

Nun haben Kind I und Kind II das Alter, in dem der Satz: „Scheiße sagt man nicht“ noch glaubhaft zu vermitteln wäre, längst hinter sich gelassen. Und auch wenn wir uns sprachlich um Anstand bemühen, wissen beide doch durchaus, dass nicht alle Menschen so feinsinnige Schöngeister sind wie der Mitbewohner und ich.

Wer auch immer gerade Tür an Tür mit uns wohnt, die Beziehung der beiden jungen Menschen scheint in einer sehr schweren Phase zu sein. Die Richtung, die das Gespräch nehmen sollte, wurde schon mit dem einleitenden Satz vorgegeben: „Du dumme Sau!“ Die Sau alleine wird in diesem Zusammenhang nicht nur zum negativ konnotierten Kampfbegriff, sondern erfährt eine zusätzliche Entwertung, indem ihr auch noch mangelnde Intelligenz unterstellt wird. Traurig. Die Reaktion folgte auf dem Fuße: „Du nennst mich eine dumme Sau? Dann pass mal auf mein Fräulein, DU bist eine dumme Sau!“ Mittlerweile hatten sich Kind II und der Mitbewohner zu uns gesellt. Eine Sau gab die andere. Variantenreich wurde mit der Tiergattung (Schwein, Wildsau) und den Eigenschaften (arm, dreckig, blöd) gespielt. Im Verlauf des Disputs rückten weitere Schlachttiere, im engen Zusammenhang mit einer gewissen Grobmotorik, in den Fokus des verbalen Schlagabtauschs – für uns ein eindeutiger Hinweis auf sublimierte Gewalt- und Entbeinungsphantasien.

So plötzlich, wie die Kontroverse begonnen hatte, endete sie und ein Föhn wurde angeschaltet.

Beide Nachbarn wurden mittlerweile wieder bei bester Gesundheit und guter Laune, Arm in Arm, auf der Straße gesehen.