Kreative Visionäre – Miriam Meckel und Götz Werner auf der re:publica

Am letzten Tag einer Konferenz oder eines Festivals stellen sich Ermüdungserscheinungen physischer Natur ein. Das kann, je nach Länge der Veranstaltung, der zweite oder auch der zehnte Tag sein. Die Gesichter werden gräulich, das Haar wirr und einige schlafen apathisch auf den Toiletten oder neben ihren Rechnern ein.

An Tag drei der re:publica hatten es Vulkanaschewolken bedingt, nicht mehr alle Redner mit dem Flugzeug nach Berlin geschafft. Einige Besucher reisten im Gegenzug, bereits am sehr frühen Freitagmorgen in völlig überfüllten Zügen in Richtung Heimat ab. Wohl dem, der ein Bett in der Hauptstadt sein Eigen nennt.

Der Konferenz-Tag begann ein wenig verspätet mit der „allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden“ in Form eines Vortrags von Götz Werner  zum Thema „Revolution im Kopf“. Der Gründer der Drogeriemarktkette dm hat mit dem bedingungslosen Grundeinkommen, neben seiner unternehmerischen Tätigkeit und zahlreichen anderen Projekten, ein zweites großes Lebensthema gefunden.

Grundeinkommen als Kulturimpuls

Für Werner ist die Verbindung von Arbeit und Einkommen ein fatales Paradigma, das es zu entkoppeln gilt. Der Kampf um einen Arbeitsplatz ist, nach Werner, der Kampf um einen Einkommensplatz. Wir leben, so Werner, nicht von unserem Einkommen, sondern von der Arbeit anderer, in einer Gesellschaft der Fremdversorgten, die auf die Dienstleistung Dritter angewiesen ist. Gleichzeitig leidet die Wirtschaft unter der Geringschätzung der erbrachten Arbeitsleistung des Menschen und seiner Herabwürdigung zum Kostenfaktor. Die Wertschätzung des Arbeitnehmers begünstigt nicht nur die Selbstmotivation des Leistungserbringers, sondern unterstützt den Werktätigen auch darin, die Arbeit als sinnstiftend zu erleben.

Das bedingungslose Grundeinkommen ist für Werner eine Frage des menschenwürdigen Umgangs einer Gesellschaft mit ihren Mitgliedern und des Vertrauens in die Leistung anderer. Der gekonnt frei vortragende Götz Werner trifft im gut besuchten Friedrichstadtpalast nicht nur auf willige Jünger. Im einen oder anderen „Erfahrungsgefängnis“ der Zuhörer, dürfte er aber Eindruck gemacht haben. Werner schließt griffig mit den Worten: „Wer will, findet Wege – Wer nicht will, findet Gründe“.  Begeisterter Applaus und ein rasch enteilender Götz Werner, der einen Zug erreichen muss.

Was wir dem Zufall zu verdanken haben

Nach dem Weg vom Sollen zum Wollen konnten sich die Zuhörer im Friedrichstadtpalast mit Prof. Dr. Miriam Meckel an die Grenzen der digitalen Gesellschaft begeben. “This object cannot be liked – über die Grenzen menschlichen Ermessen und das Ermessen menschlicher Grenzen”, ein atemloser Vortrag über den Menschen als für die Freiheit geeignetes Wesen und die Unmöglichkeit des Computers für Zufälle zu sorgen. Meckel erinnerte daran, was der Mensch dem Zufall verdankt, den der Computer letztlich nur berechnen kann, wenn auch immer komplexer. Die nicht deterministische Maschine ist letztlich nur ein Denkkonstrukt und der Stein der Weisen des Computerzeitalters. Freiheit für den Menschen gibt es um den Preis der Unberechenbarkeit. Um die Vorzüge des sozialen Netzes genießen zu können, muss man seine Grenzen kennen. Der Mensch ist, so Meckel, nicht immer voll funktional und muss sich stetig neu bemühen, Ordnungsstränge in das (alltägliche) Chaos zu schlagen, gerade deshalb ist er für die Freiheit geeignet.

Zum Schluss geht der Dank an die Gastgeber Markus Beckedahl von newthinking communications, Tanja und Johnny Haeusler von Spreeblick und ihr Team, für eine gelungene Veranstaltung, interessante Panels und Gäste und die Mühe eine so große Veranstaltung erneut auf die Beine gestellt zu haben.