Berlinale 2018 – Und es war Sommer

Geschwisterliebe und der Feind an ihrem Bett – ein triebhafter Berlinale-Mittwoch hebt die Gesetze von Raum und Zeit auf.

Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot © 2017 Philip Gröning

Mein Schwesterchen, lass mich herein

Hoch steht der Klee und der Weizen ist golden in “Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot” von Philip Gröning (“Die große Stille”). Robert soll seine Schwester Elena auf die mündliche Abi-Prüfung in Philosophie vorbereiten. Es folgen erst zwei Stunden Langeweile im Wettbewerb der 68. Berlinale, und dann wird es richtig schlecht.

Elena ist ein weißblondes Nymphchen mit Schmollmund, Babystimme und knospenden Brüstchen und dem zu großen Feinrippunterhemd. Der verpickelte Robert ein altkluger Schwätzer, der das Abitur nicht bestehen wird. Brüderchen und Schwesterchen werden bald getrennte Wege gehen müssen. Hübsch haben es sich die Zwillinge in ihrer kleinen symbiotischen Welt eingerichtet.

Die Hitze der Sommertage und das viele Bier von der Tankstelle verleiten die beiden Einzelgänger zu immer waghalsigeren Wetten. Die Sonne scheint grell über Wiesen und Felder. Liegt da ein schweres Unwetter in der Luft?

‚Die Gelassenheit ist ein Warten, das nicht wartet.‘

Ameisen besteigen weiße Mädchenbeine. Wespen auf angebissenem Obst. Und immer wieder Bier von der Tankstelle. Adolf und Erich sind hier abwechselnd im Einsatz. Elena möchte gerne mit Erich schlafen, um eine Wette zu gewinnen. Erich hat kein Interesse an Sex. Hätte er es doch einfach nur hinter sich gebracht.

Man möchte einfach auf der Sommerwiese einschlummern und nach drei Stunden erwachen, als sei nichts passiert.

Was ist Zeit?
Warten.
Elena benutzt einen Lippenstift.
Elena malt sich die Zähne an.
Elena muss mal.
Elena schwimmt.
Elena fordert erneut Geschlechtsverkehr von Erich.
Robert übergibt sich.
Elena hebt das Röckchen an.

Das Porträt zweier egozentrischer Kleinkinder in den Körpern junger Erwachsener, deren Hormone verrückt spielen. Die sich immer weiter zurück entwickeln. Raum, Zeit, Moral – nichts gilt mehr. Selbst der Abspann wird verzögert. Das Publikum buht zu früh.

Unsane | Unsane – Ausgeliefert © Fingerprint Releasing / Bleecker Street

Der Mann mit dem Hammer

David (unheimlich: Joshua Leonard) weiß, was Sawyer (Claire Foy) gerne frühstückt. Er kennt ihr Lieblingsbuch, ihre Lieblingsmusik, und er weiß genau, welche Farbe ihr besonders gut steht. David, der Mann mit der extra großen goldenen Pilotenbrille, liebt Sawyer, und er will sie ganz für sich alleine.

Sawyer muss unsichtbar werden. Das Mobiltelefon ist ihr Feind. Soziale Netzwerke und Routinen im Tagesablauf sind verboten. Sawyer sieht David überall. Jeder bärtige Mann hat sein Gesicht.

Aus Angst, komplett die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren, nimmt Sawyer in Steven Soderberghs “Unsane” (Ausgeliefert) Kontakt zu einer Therapeutin auf. Die Papiere, die sie im Anschluss – reine Formalität – noch rasch ausfüllen und unterschreiben soll, hätte sie besser gründlich durchgelesen.

Die nächsten sieben Tage wird sie im Gemeinschaftsschlafsaal einer psychiatrischen Klinik verbringen. Wenig hilfreich, dabei Mitpatienten oder Pflegepersonal anzugreifen. Saywers Paranoia überträgt sich in diesem Wettbewerbsbeitrag, der leider außer Konkurrenz gezeigt wird, direkt auf die Zuschauer. Wer ist hier verrückt? Wer ist hier Opfer und wer Täter?

Ein Film mit Handlung, Spannungsbogen und einer gelungenen Hommage an “Misery”. Erleichterter Applaus am Ende der Pressevorstellung.