Berlinale 2018 – Let‘s talk about Sex

Ein intimes Forschungsprojekt, ein spektakulärer Kunstraub und die Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer. Der Wettbewerb der Berlinale ist fast komplett.

Touch Me Not © Manekino Film, Rohfilm, Pink, Agitprop, Les Films de l’Etranger

Schrei, wenn du kannst

„Sag mir, wie du mich geliebt hast, damit ich verstehe, wie ich lieben kann.“
Die rumänische Filmemacherin Adina Pintilie und ihre Darsteller erforschen in “Touch Me“ Intimität, Nähe und Sexualität.

Auf der Suche nach Berührung geht die 50-jährige Laura große emotionale Risiken vor der Kamera ein. Callboys, Transexuelle, Austesten der sexuellen Grenzen mit Seani Love. Verloren in ihrer Sehnsucht, gesehen und geliebt zu werden, blockiert von den eigenen Barrieren, die sie um sich errichtet hat.

Laura kämpft um ihre Befreiung. Würde die Mauern gerne einreißen, sich locker machen, entspannen, weiß aber nicht wie. Der Blick der Kamera auf ihr Gesicht ist fast unerträglich schmerzhaft. Hier legt jemand seine Seele bloß. Muss man sich da als Zuschauer nicht zurückziehen? Den Saal verlassen?

Man möchte nicht hinschauen, wenn dem mehrfach behinderten Christian der Sabber aus den Mundwinkeln rinnt. Die Kamera auf seinen kariösen Überbiss hält. Grit ihn im SM-Club berührt. Man muss ihn hören, wenn er über seinen Körper, seine Sexualität und seine Beziehungen spricht.

Teilt dennoch das Unbehagen von Tudor (Tòmas Lemarquis), wenn er sanft Christians Gesicht erkunden soll. Seine Beziehung zur geheimnisvollen Mona (Irmena Chichikova) ist schwierig. Er folgt ihr, nimmt ihren Platz ein, beobachtet sie in den schwitzenden Fleischbergen des SM-Clubs.

Adina Pintilie macht es den Zuschauern mit ihrem Wettbewerbsbeitrag nicht leicht. Wer bis zum Ende bleibt, wird aber mit Lauras Mut belohnt.

Laura Benson, die bislang mutigste Protagonistin im Wettbewerb der 68. Berlinale.

Museo | Museum © Alejandra Carvajal

Nachts im Museum

Weihnachten im Dezember 1985. Die Langzeitstudenten Juan und Wilson klauen in einer Nacht- und Nebelaktion die wichtigsten Heiligtümer der Maya, Mixteken und Zapoteken aus dem Nationalmuseum für Anthropologie in Mexiko-Stadt. Die Nation ist schockiert. Die Jagd auf die vermeintlichen Meisterdiebe wird eröffnet. Eine hohes Lösegeld auf die Wiederbeschaffung des Schatzes ausgesetzt.

Wird es den beiden gelingen, die Artefakte von unschätzbarem Wert zu verkaufen? Alonso Ruizpalacios heftet sich in “Museo” (Museum) an die Fersen der beiden sympathischen Tunichtgute Juan (Gael García Bernal) und Wilson (Leonardo Ortizgris). Eine Kleinganoven-Story voller Lokalkolorit.

Hölle, Fegefeuer und Paradies

Während des zweiten Weltkrieges nehmen Schweizer Familien Flüchtlingskinder bei sich auf. Der Schweizer Filmemacher Markus Imhoof (“More Than Honey”) erinnert sich an seine Kindheit mit Giovanna. Eine innige Freundschaft verbindet die beiden Kinder, die aus politischen Gründen nach wenigen Monaten wieder Abschied nehmen müssen.

Eldorado © Majestic/zero one film / Peter Indergand

Die Geschichte der Trennung ist Ausgangspunkt für eine Spurensuche, die im Helikopter über dem Mittelmeer beginnt. Hilflos treiben Dutzende von Menschen in der aufgewühlten See.

Imhoof begleitet für seinen Dokumentarfilm “Eldorado” Einsätze der italienischen Marine im Rahmen der Operation „Mare Nostrum“. Zwischen Herbst 2013 und Oktober 2014 waren italienische Marine und Küstenwache im Mittelmehr zur Seenotrettung von Flüchtlingen aus meist afrikanischen Ländern im Einsatz. Erschöpft aber voll Hoffnung betreten die Geretteten an Bord der Kriegsschiffe europäischen Boden.

Der legale Zugang nach Europa ist verwehrt

Nach monatelangen Verhandlungen darf Imhoof auf dem Gelände eines italienischen Flüchtlingslagers filmen. Acht bis fünfzehn Monate werden die Menschen hier kaserniert. Ohne Arbeitserlaubnis warten die Gestrandeten hier darauf, dass sich das „Tor der Hoffnung“ für sie öffnet.

Nachdem sie ihren Ablehnungsbescheid erhalten haben, verschwinden die Geflüchteten in der Illegalität. Die Unsichtbaren enden in mafiöser Schwarzarbeit. Männer schuften als Erntehelfer auf Tomatenplantagen, die ihren Wohlstand der Versklavung der afrikanischer Hilfsarbeiter verdanken.

Mit versteckter Kamera gelingen Imhoof Aufnahmen in einem der illegalen Camps, in denen die Geflüchteten hausen. Verschläge aus Brettern und Plastikplanen. Slums ohne Kanalisation und kaum Zugang zu sauberem Trinkwasser. Frauen werden in der schweren Feldarbeit nicht eingesetzt. Ihnen bleibt nur der Weg in die Prostitution.

Die Schweiz und Deutschland werden zu Sehnsuchtsorten. Länder, die aufgrund des Dublin-Abkommens, das die Aufnahme von Flüchtlingen in Europa regelt, kaum erreicht werden können. In der Schweiz leben die wenigen Geflüchteten, die es in die Alpenrepublik geschafft haben, in unterirdischen Bunkeranlagen. Ein positiver Asylbescheid ist so gut wie ausgeschlossen.

Imhoof verzichtet in seiner Dokumentation auf jede Ästhetisierung der Bilder. Rührselige Einzelschicksale braucht er nicht um Haltung und Botschaft zu transportieren. Europa profitiert von dem System der Unterdrückung und Ausbeutung und wird seiner Verantwortung nicht gerecht.