Berlinale 2015 – Liebesgrüße aus dem Reich der Toten

Vier Männer und eine Frau leben am Rande eines Dorfes in Chile. Mit Gartenarbeit, Putzen und dem Training ihres preisgekrönten Windhundes vergehen die Tage. Die Siegprämien fließen in die Gemeinschaftskasse ein. „El Club“ (The Club) von Pablo Larrain erzählt die Geschichte von Sündern, die in dieser Gemeinschaft Buße tun und unauffällig bleiben sollen. Streng wacht Schwester Mónica (Antonia Zegers) über ihre Herde. Nur wenn sie den Hund zu den Rennen begleitet, huscht ein kleines Siegerlächeln über ihr strenges Gesicht.

Das Gleichgewicht wird durch einen Neuankömmling empfindlich gestört. Ein weiterer Pater soll hier am Ende der Welt aus dem Blick der Öffentlichkeit verschwinden. Das misslingt. Ein Opfer der priesterlichen Fürsorge ist dem pädophilen Beichtvater gefolgt und schreit jede einzelne am ihm begangene sexuelle Handlung dem Haus und seinen darin verschanzten Bewohnern entgegen. Finster und halb wahnsinnig umkreist Sandokán (Roberto Farías) von jetzt an die Herberge. Haust im Dorf, heuert auf einem Fischkutter an.

Der Beschuldigte entzieht sich seinem Opfer, indem er Selbstmord begeht. Das Heim für gefallene Priester rückt in den Fokus der Mutter Kirche. Der schöne Pater Garcia (Marcelo Alonso) soll eine Untersuchung durchführen und aufklären, wie es zu dem Selbstmord kommen konnte. In Befragungen versucht er den Hausbewohnern ihre schmutzigen Geheimnisse und Verfehlungen zu entlocken. Wer nicht kooperiert wird bestraft. Alkohol, Fleisch und der Hund sollen entzogen werden. Er, der ohne Sünde sei, soll aufräumen. Dekoriert mit höchsten akademischen Weihen. Doch hinter all der Askese und Bigotterie lauert auch nur die Wollust.

Kinder und Wahnsinnige sagen die Wahrheit: Sandokán schreit die Geheimnisse aller in die Nacht und erkennt auch die Abgründe von Pater Garcia. Der nimmt die Herausforderung an – Sandokán muss weg. Die Gemeinschaft der Sünder erneuert ihr Band und zieht gemeinsam in die Nacht. Die Taten, die sie begehen, verlangen nach einem Sündenbock und der ist schnell gefunden. Betrunken wankt Sandokán durch die Nacht, der wütende Mob erwartet ihn bereits und wird ihm eine Abreibung verpassen. Die schwarzen Schafe an ihm Buße tun und ihn in die Gemeinschaft aufnehmen. Damit kann die Priester-WG ihre Auflösung verhindern und der Skandal verschwindet aus dem Licht der Öffentlichkeit.

Larrain verdichtet in seinem Wettbewerbsbeitrag, Schuld und Sühne und die Scheinheiligkeit der katholischen Kirch zu einem beklemmenden Kammerspiel, getragen von einem starken Darstellerensemble. Die Gemeinschaft der Sünder wird weiter bestehen. Ihre Taten bleiben im Namen des Vaters ungesühnt. Das Opfer wird von den Tätern mildtätig verschlungen.

Unreine Haut macht noch keinen Coming-of Age Film

Rico, Dani, Mark, Paul und Sternchen suchen das Glück, oder wenigstens einen Platz im Leben – Andreas Dresen (Halt auf freier Strecke, Sommer vorm Balkon) hat Clemens Meyers (mit Kurzauftritt als Polizist) mehrfach preisgekrönten Nachwende-Bestseller „Als wir träumten“ verfilmt.

Zwei Stunden abgefilmtes Schultheater auf der ganz großen Leinwand. Hölzerne Dialoge, ungelenke Darsteller. Einzig der Soundtrack und der ewige Trinker Thilo überzeugen. Freundschaft, Party, Absturz, das alles haben wir in Victoria mitreißend und glaubwürdig gesehen – Rico, Dani, Mark und Paul haben keinerlei Verbindung zueinander. Die Figuren bleiben unnahbar. Was sie bewegt, ihre Wut, ihr Zorn, ihr Kummer, ihre Hoffnungen berühren nicht. Atmosphäre entsteht nicht. Frei sein, wild sein heißt, bei stampfenden Beats mit einem geklauten Auto durch die Nacht zu rasen, dabei den Oberkörper so weit wie möglich aus dem Fenster zu lehnen und laut zu brüllen.

Da wird gesoffen, zerstört und geprügelt. Der eigene Club erlebt einen kurzen Aufschwung und wird dann von den stadtbekannten Nazis zerlegt. Die Antifa vergibt Termine und macht nichts. Niedliche Rückblenden in die Pioniervergangenheit. Sternchen geht erst in den Westen, sucht sich dann einen Nazi-Beschützer und endet dann in einem Striplokal mit schmissigem Ansager. Schönste Szene: Marc und Dani liegen auf einem Dach und trinken Dosenbier. Aus der Ferne hört man eine Polizeisirene. Marc zu Dani: „Hörst du!? Sie spielen unser Lied.“


 

Die Geister, die ich rief …

Der verwitwete Untersuchungsrichter Janusz hat schon alles gesehen: Selbstmörder, die von den Toten auferstehen, Mütter, die Teile ihres Neugeborenen in einer Toilette entsorgen, Erschlagene, Erhängte, Erstochene. Nichts davon verdirbt ihm den Appetit oder schlägt ihm aufs Gemüt. Die Essstörung seiner Tochter Olga, das Fressen und Kotzen erträgt er stoisch bei Brathuhn und Wodka. Als er sie wieder einmal ohnmächtig in ihrem eigenen Erbrochenem im Badezimmer findet, bringt er sie in eine Klinik.

Dort arbeitet die altjüngferliche Anna (Maja Ostaszewska) als Therapeutin. Wie durchscheinende Gespenster stehen ihre bis auf die Knochen abgemagerten Patientinnen in einem Raum und üben lautes Schreien. Ihre kleine Wohnung teilt Anna mit ihrem riesigen Hund Fredek. Die Dogge schleift ihr Frauchen um den Block, frisst ihr Abendessen und teilt schnarchend mit ihr das Bett. In ihrer Freizeit ist sie als Medium tätig. Die Botschaften, die sie aus dem Jenseits empfängt, bringt sie manisch zu Papier.

Die polnische Regisseurin Malgorzata Szumowska ist nach Ono, Elles und In The Name of mit „Body“ erneut Gast der Internationalen Filmfestspiele Berlin. Die Einsamkeit ihrer Protagonisten sucht sich auf unterschiedlichste Art und Weise ein Ventil und führt sie am Ende alle an einem Tisch zusammen. Szumowska stellt erneut ihre Klasse als Filmemacherin unter Beweis.

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