Berlinale 2015 – Christian Bale auf der Suche nach dem Sinn des Lebens

Der Sonntag beginnt bei strahlendem Sonnenschein und eisigen Temperaturen mit einer kleinen filmischen Fingerübung. „Mr. Holmes“ von Bill Condon (Inside Wikileaks, Breaking Dawn – Bis(s) zum Ende der Nacht 1 und 2) läuft im Wettbewerb der 65. Berlinale außer Konkurrenz. Ian McKellen (Herr der Ringe) spielt den 93-jährigen Meisterdetektiv, der sich vor Jahren verbittert aufs Land zurückgezogen hat, mit gandalfscher Gravität. Einzig seine Haushälterin (Laura Linney) und ihren kleinen altklugen Sohn Roger (Milo Parker) duldet er um sich. In dem Jungen erkennt er ein Fünkchen Verstand, und so nimmt er ihn unter seine Fittiche. Vor allem Aufzucht und Hege von Bienen haben es den Beiden angetan.

Bevor sich sein Verstand vollends vernebelt (die blinden Flecken werden größer) muss er seinen letzten Fall, der ihn vor 35 Jahren in eine tiefe Krise gestürzt hat, zu Papier bringen. Mühsam arbeitet sich der greise Held in seinem mehr und mehr umnachteten Verstand zurück in die Vergangenheit. Die beschönigte Geschichte von Dr. Watson muss korrigiert werden. Auch ein zartes Pflänzchen, das der Meister selbst aus Japan geholt hat, kann die Senilität nicht aufhalten. Aber auch in dem vom Krieg gezeichneten Land wartet eine alte Geschichte auf ihn, die noch zu einem guten Ende gebracht werden muss.

Holmes wird auf seine alten Tage milde und sucht Familienanschluss. In pilcherhaftem Idyll lauschen wir den Worten des Meisters. Er versucht seinem zerbröselnden Verstand die letzten Erinnerungen zu entlocken und lässt sich mehrfach zu guten Taten hinreißen. Ein Film für einen verregneten Sonntagnachmittag mit einer guten Tasse Tee und Gebäck.

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Wenn Männer zu sehr leiden

Auf die cineastische Sedierung folgt ein Regie-Schwergewicht. Der große Grübler und Sinnsucher des Kinos, Terrence Malick (Tree of Life), präsentiert „Knight of Cups“ mit Christian Bale, Cate Blanchett und Natalie Portman im Wettbewerb.

Wenn Männer zu sehr leiden – unter Frauen mit Modellkörpern in High Heels, die nur schnellen unverbindlichen Sex wollen, zu viel Geld, zu viel Erfolg – dann gehen sie in eine Geröllwüste und starren Felswände an. Manchmal stehen sie auch am Meer und starren in die Wellen. Oder sie heben den Kopf gen Himmel und starren in die unendlichen Weiten. Und stellen Fragen. Die Stimmen im Kopf kommen direkt aus dem Off zu uns. Einzelne Worte. Manchmal auch ganze Sätze. Das Meer rauscht, der Wind singt sein ewiges Lied, im Weltall nur interstellares Rauschen. Vater. Bruder. Erinnere Dich. Gott. Verzeih mir.

Wenn Männer in der Midlifecrisis erkennen müssen, dass die Party zu Ende ist und die blonden Gazellen, die sich willig an ihnen reiben, nicht nur an ihrem brillanten Geist interessiert sind, dann folgen Leere und Depression. Die Fußspuren im Sand hat längt das Meer hinweggespült. Ein sprichwörtliches Erdbeben zieht Christian „Batman“ Bale den Boden unter den Füßen weg. Tief liegen die ernsten Augen in ihren Höhlen, traurig sind die Lippen zum Schmollmund geschürzt.

Wir fliegen zwei Stunden durch einen Kunstclip. Vom Land aufs Meer ins All über den Highway durch Filmkulissen dekadente Partys Designer Lofts Sand Stein Geröll Lichter Musik schöne Frauen biegsame Körper kühlen Marmor Hollywood Bollywood Beats Rushour Männer auf Knien Bach Trauer Brüste Verzweiflung Bling Tod. Bale als Peer Gynt, der es sich in seiner bunten Märchenwelt bequem gemacht hat und dem die Augen geöffnet werden. Allerlei Hollywoodprominenz, darunter Antonio Banderas, Cate Blanchett, Natalie Portman und viele andere kreuzen seinen Weg und sprechen zu ihm.  Kurz vor Schluss darf auch Armin Müller-Stahl als katholischer Priester einen bedeutsamen Beitrag leisten.

 

 

 

Ein Tarot-Deck dient als Stilmittel zur Gliederung einzelner Kapitel – der Mond, der Gehängte, der Eremit, das Gericht, der Turm, die Hohepriesterin, der Tod. Wir sind alle verlorene Seelen auf der Suche nach Liebe oder doch wenigstens ein wenig körperlicher Wärme, und Zukunft ist vielleicht für alle da. Mag sie auch noch im Nebel liegen.

Männer! Was lernt ihr daraus?

Wenn Sie ernste Dinge sagen wollen, flüstern Sie! Lassen Sie sich Zeit. Sprechen Sie mit langsamer, tiefer Stimme. Bilden Sie Einwortsätze. Spüren Sie dem Klang Ihrer Stimme nach. Gucken Sie traurig. Fixieren Sie einen Punkt in der Ferne. Starren Sie. Stehen Sie dabei in einer Wüstenlandschaft, signalisieren Sie Einsamkeit. Auf einem belebten Boulevard, unterstreichen Sie ihre Verlorenheit in der materiellen Welt, die nicht (länger) die ihre ist. Weinen Sie. Verzichten Sie auf keinen Fall auf käuflichen Sex. Atmen Sie. Schwer. Schnaufen Sie richtig tief durch. Gehen Sie auf Partys und langweilen Sie sich dort demonstrativ. Sehen Sie einem gehbehinderten Pelikan hinterher.

Malick reiht Bilder, Bewusstseinsströme, Lebensweisheiten und Musikfetzen aneinander. Alles ist wichtig, alles ist nichts. Sein Held amüsiert sich dabei fast zu Tode. Verzweifelt, sucht, guckt. Was bei „Tree of Life“ als künstlerisches Stillleben tief bewegte, wirkt in „Knight of Cups“ nur gewollt artifiziell. Eine endlos bunte Meditation findet nach 118 Minuten ihr Ende. Ein Film für Schuhfetischisten, Aphorismensammler und Männer in der Midlifecrisis.

Das Universum ist ein Perlmuttknopf

Kontemplativ geht es weiter. Es folgt eine Meditation über Wasser und Quarz. Patricio Guzmán will in seinem dokumentarischen Wettbewerbsfilm „El Bot´n de nácar (The Pearl Button / Der Perlmuttknopf) die Geschichte Chiles vom Urknall, über die Zerstörung des Lebensraums der Ureinwohner und die grausame Diktatur Pinochets bis zur Gegenwart erzählen. Ein ehrgeiziges Projekt. Zusammengehalten werden soll die Story von einem Perlmuttknopf. Wir sehen eine Mischung aus „Die Welt von Oben“ und „ZDF History“, begleitet von der schulmeisterlichen Stimme des Filmemachers. Ureinwohner, Geologen, Politikwissenschaftler und Überlebende der Pinochet-Diktatur kommen zu Wort. Gletscher knacken, der Wind pfeift über Patagonien, Hagel. Eine Supernova explodiert. In der Sprache der Ureinwohner gibt es keine Begriffe für Polizei und Gott. Außerdem: ein Geräusch von Regen, der auf ein Zinndach fällt.

Was fehlt: Walgesänge.

 

 

Ein von Julie (@fraujulie) gepostetes Foto am

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