Berlinale 2012: Hinter Gittern – Julius Caesar im Männerknast

Angelina Jolie nicht getroffen, Shah Rukh Khan nicht getroffen, aber schon vier Mal mit Jake Gyllenhaal im Kino gewesen. Der befreundeten Verwandtschaft einen Wohnungsschlüssel übergeben, Rucksack gegen eine Tasche eingetauscht und Lebensmittel in geheimen Körperöffnungen versteckt. Außerdem stirbt Julius Caesar im Knast, Barbara fährt Fahrrad und Obacht bei Spaziergängen über verfallene Friedhöfe – der Berlinale dritter Tag.

Tasche ist nicht gleich Rucksack. Die schlauen Füchse unter euch werden sich so etwas schon gedacht haben. Was ihr vielleicht aber noch nicht wusstet und nun dank knallharter vor Ort Recherche erfahrt: In Taschen werden keine verbotenen Lebensmittel und Flüssigkeiten transportiert, in Rucksäcken dagegen schon …

… ihr denkt gerade intensiv nach. Ich weiß.

Und während ihr noch grübelt, nehme ich euch mit ins Kino. Samstag, 9 Uhr, Frühvorstellung. Draußen ist es bitter kalt. Drinnen warten wir auf die Jury und auf „Cesare deve morire“ (Caesar Must Die) von Paolo und Vittorio Taviani. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Einzigartige und aufwühlende 76 Minuten liegen vor uns. Gutes Kino kann so kurz sein.

Was wie eine schreckliche Abfilmung einer Bühnenfassung von Shakespeares „Julius Caesar“ beginnt, wandelt sich über das klamaukige Casting der Darsteller im Hochsicherheitstrakt der römischen Strafanstalt Rebibbia zu einem tief bewegenden Drama hinter Gittern in schwarz-weiß. Ein Klassiker öffnet Zellentüren und Darsteller, die im „wahren“ Leben schwerste Verbrechen begangen haben und teilweise bereits seit Jahrzehnte einsitzen. Nach dem Schlussapplaus folgt der Einschluss.

Die Filmemacher Paolo und Vittorio Taviani werden auf der anschließenden Pressekonferenz die Arbeit am Stück als einen Akt der Buße beschreiben. Den Versuch der Darsteller, mit der Kunst ein wenig von dem gut zu machen, was an Schmerz und Leid durch die begangenen Verbrechen anderen angetan wurde.

Ehre und Verrat, Macht, Wahnsinn, Hypris und Mord– in Shakespeares Tragödie finden die Gefangenen alles, was sie durch ihr Leben begleitet hat. Der Mythos „Julius Caesar“ und des Shakespeares Werke werden eingefangen, auseinandergenommen und neu zusammengesetzt. Die Insassen machen sich das Stück zu eigen. Leben und Rolle gehen ineinander über. Das Stück erobert Zellen, Flure und Gefängnishof. Die Verschwörer, die Caesar den Tod bringen, scheitern. So hat man den Untergang des römischen Imperators und seiner ehemaligen Getreuen noch nie in den Gesichtern der Schauspieler gesehen, nie mit solchen Stimmen gehört. Paolo und Vittorio Taviani wollten das Stück an einen Ort des Schmerzes und der Tränen verlagern. Das ist gelungen. Wir ahnen mindestens einen Bären für das Darsteller-Ensemble.

Barbara fährt Rad

Die Pressekonferenz mit Regisseur Christian Petzolg und seinen beiden Hauptdarstellern Nina Hoss und Ronald Zehrfeld ist sehr schön. Humorvoll, schlau, informativ mit einem mehr als sympathischen, gut aufgelegten und zugewandten Podium, dem man viele ebensolche Filme wünscht. Der Beitrag, der im Wettbewerb der 62. Berlinale läuft, heißt „Barbara“. Das Augen-Make-Up von Barbara ist vorzüglich gelungen. Dass der Film so endet, wie von mir ab der Hälfte erwartet, trägt sehr zu meiner persönlichen Stimmungsaufhellung bei. „Barbara“ läuft ab 8. März in den Deutschen Kinos an.

Wenn die Schatten der Vergangenheit aus ihrem kühlen Grab mit kleinen Fingerchen nach uns greifen, dann kann man darüber schon einfach mal irre werden. Der spanische Wettbewerbsbeitrag „Dictado“ (Childish Games) von Antonio Chavarrías gräbt ein solches Familiengeheimnis im wahrsten Sinne des Wortes aus.

Kleine blasse Mädchen als potentielle psychopathische Killer zu inszenieren, die Erwachsene Schritt für Schritt in den Wahnsinn treiben (wahlweise spricht auch gerne einmal der Leibhaftige aus ihnen, oder sie verfügen über telekinetische Fähigkeiten und oder kleine spitze Eckzähne … ), war schon immer sehr wirkungsvoll. Filmemacher Antonio Chavarrías spielt mit unseren Erwartungen und unterhält. Das muss genügen.

Oscar-Nominierung des Tages: Keine

Hat jemand den Don gesehn?

 

 

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