Berlinale 2011 – Die Coen Brüder, abgeschnittene Finger und ein Missverständnis
In Berlin beginnen die 61. Internationalen Filmfestspiele nach alter Festival-Sitte mit einem Eröffnungsfilm, zuvor muss unsere Autorin ein Missverständnis ausräumen, auf Jeff Bridges warten und den Film zur Frauenquotendebatte gucken.
Damit wir uns in den kommenden 10 Tagen filmisch nahe kommen können, muss an dieser Stelle zunächst ein Missverständnis ausgeräumt werden, dessen mögliche Tragweite sich mir beim Warten auf die Pressekonferenz mit den Brüdern Joel und Ethan Coen, Jeff Bridges, Josh Brolin und Hailee Steinfeld nach der Pressevorführung von „True Grit“ offenbarte. Eine liebe Kollegin begrüßte mich mit den Worte: „In der Szene, wo er ihm die Finger abschneidet, da hab ich sofort an dich gedacht.“ Obacht, Cineasten! Nur, weil ihr es auf der Leinwand gesehen habt, muss es noch lange nicht wahr sein. Im Allgemeinen schneide ich Menschen keine Finger ab. Ich würde sie nur dem einen oder anderen gerne brechen. Aber solange ich nicht Kraft meiner Gedanken Knochen verbiegen kann, droht praktisch keine Gefahr. Folglich können wir uns nunmehr angstfrei auf zehn Tage mit hoffentlich guten Projektionen freuen. Möge nicht mehr als eine Filmrolle Platz zwischen uns sein.
Damit die prominenten Gäste, die am Abend den breiten roten Teppich vor dem Festival Palast am Potsdamer Platz überschritten, neben der Internationalen Jury unter der Leitung von Isabella Rossellini, Festival-Direktor Dieter Kosslick und Moderatorin Anke Engelke auch etwas zu gucken hatten, gab es, wie bei Filmfestivals üblich, einen Eröffnungsfilm. In diesem Jahr den 10fach Oscar-Nominierten neuen Streifen der Coen-Brüder: „True Grit“. Ein Werk, das nahezu jeder schon gesehen zu haben scheint und das seit Wochen die deutschen und internationalen Feuilletons füllt. Damit könnten wir es an dieser Stelle im Grunde auch bewenden lassen. Super Film! Ansehen!
Tatsächlich ist „True Grit“ nur vordergründig ein Western. Vielmehr handelt es sich bei dem Film um ein, wenn nicht das Schlüsselwerk zur Frauenquotendebatte in deutschen Führungsetagen, aber das ist eine andere Geschichte. Warum die weibliche Hauptrolle für einen Nebenrollen-Oscar nominiert wurde, darüber denkt ihr nach, wenn ihr diesen Text zu Ende gelesen habt.
Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Charles Portis und wurde bereits 1969 erstmals unter der Regie von Henry Hathaway verfilmt. Für seine Darstellung des Marshall Rooster Cogburn wurde John Wayne 1970 mit dem einzigen Oscar seiner Karriere ausgezeichnet. Da die Herren Coen darauf bestehen, dass es sich nicht um ein Remake von „Der Marshall“ handelt, sondern um eine Neuverfilmung des Romans, sehen wir an dieser Stelle über einen Vergleich Wayne vs. Bridges hinweg. Es sei euch aber freigestellt, bei Gelegenheit genau dies zu tun.
Ein junges Mädchen (Hailee Steinfeld war zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 13 Jahre alt) und viele Männer mit meisterlich in die Münder gebastelten kariösen Zähnen. Darunter selbstverständlich an erster Stelle zu nennen: Jeff Bridges. Jeff Bridges ist Jeff Bridges ist Marshall Rooster Cogburn ist cool, versoffen, einäugig. Ein grandios kaputter Held. Mit einer Stimme, so verkommen wie der ganze Kerl. Jeff Bridges geht davon aus, dass der Film in den USA deshalb so erfolgreich läuft, weil die Menschen mehrere Anläufe benötigen, um zu verstehen, was er sagt. Untertitel sorgen hier für Abhilfe, das Original sollte man sich aber nicht entgehen lassen.
An seiner Seite Matt Damon als schmieriger Texas Ranger LaBoeuf. Star und Heldin des Films aber ist Hailee Steinfeld in der Rolle des Mädchens, das im Winter sein Zuhause verlässt, um seinen Vater zu rächen. Ernst, hart, kühl und rational wandelt Mattie Ross unter einer Horde großer Jungs, denen im Suff gerne mal das Schießeisen ausrutscht und die es mit dem Gesetz nicht ganz so genau nehmen. Der Scheitel zwischen den fest geflochtenen Zöpfen ist so gerade wie das Gesicht ernst ist. Sie übernimmt die Drecksarbeit, wenn die Herren gerade indisponiert sind. Da die Behörden nicht Willens sind, den Mörder ihres Vaters zu jagen, heuert sie auf eigene Rechnung den Trunkenbold Rooster Cogburn an. Natürlich will er das Geld und selbstverständlich will er alleine auf Mörderjagd gehen. Mattie Ross wird ihm aber nicht von der Seite weichen, und eigentlich ist das der Plaudertasche Cogburn auch ganz recht. Der dritte im Bunde ist Ranger LaBoeuf, der es auf das Kopfgeld abgesehen hat, das auf den Gejagten ausgesetzt ist. Auf ihrem Ritt durch die Wildnis entsteht eine Schicksalsgemeinschaft, in der jeder vom anderen abhängig ist.
True Grit läuft im Wettbewerb der Berlinale außer Konkurrenz.
Und heute? Heute freuen wir uns auf Wetter in Berlin, neues zur Frauenquote und die Leiden professioneller Festivalbesucher.
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