Berlinale 2011 – Der Tag als der Regen kam

Das stundenlange Konsumieren von Beziehungsfilmen mit Katzen, in denen Entschleunigung und lange Kameraeinstellungen mit Trägheit und Langeweile verwechselt werden, kann ungeahnte Folgen haben. Wir klären auf! Außerdem im Wettbewerb: Andres Veils „Wer wenn nicht wir“ über die Anfänge der RAF und ein kühler Blick auf zwei Frauen in London und Ramallah.

Das stundenlange beenden sachlicher Romanzen kann für den Kinozuschauer unangenehme Begleiterscheinungen haben. Mit der Verlangsamung der eigentlichen Handlung und Gleichgültigkeit der Beteiligten gegenüber so gut wie allem, vermindern sich beim Publikum sämtliche Vitalzeichen einschließlich Körpertemperatur. Wir sprechen dann von einer so genannten Kinostarre, die nur sehr behutsam wieder aufgelöst werden kann. Der ungeübte Beobachter wird irgendwann auch das Atmen einstellen und tot von seinem Kinosessel fallen. Also, Obacht!

Ein Paar trennt sich und ein Sturm zieht auf. Es wird sehr viel Regen geben, wenig Dialoge und eine kleine Katze kommt vorbei. „Saranghanda, Saranghaji Anneunda“ (Come Rain, Come Shine / Kommt Regen, kommt Sonnenschein), ein Film aus Südkorea von Lee Yoon-ki, hat Wetter für alle. Es ist nicht überliefert, dass irgendjemand das Atmen eingestellt hat.

Am Tag nach Wolfgang Murnbergers Nazi-Komödie „Mein bester Feind“ (Wettbewerb, außer Konkurrenz) ging Andres Veiels (Black Box BRD) Film „Wer wenn nicht wir“ über die Vorgeschichte der RAF ins Rennen um einen der diesjährigen Bären der Internationalen Filmfestspiele. Das Team darf sich berechtigte Hoffnungen auf eine der Auszeichnungen machen.

Die Deutschen und ihre Vergangenheit – eine kanadische Journalistin wird das in der anschließenden Pressekonferenz als eine Wolke der Schuld beschreiben, die über uns und unserer Geschichte schwebt. Eine Beschreibung die zutrifft und noch  zu kurz greift. Veiel formuliert mit seinem Film Fragen zu den historischen Zusammenhängen. Solange wir uns diese nicht eindeutig beantworten können, werden wir uns weiter an der Schuld abarbeiten. Ein Ende ist nicht absehbar.

Der preisgekrönte Dokumentarfilmer Andres Veiel wendet sich in „Wer wenn nicht wir“ einem seiner Lebensthemen zu – die RAF und ihre Geschichte. Warum radikalisieren sich Menschen, übernehmen die Rolle des Täters und sind bereit für ihre politischen Ziele Menschenleben zu opfern, auch wenn sie dafür alles aufgeben müssen, auch das eigene Kind? Veiel rekonstruiert die Geschichte deutschen Terrors anhand eines Jahrzehnts im Leben von Bernward Vesper (August Diehl), Sohn des Blut-und-Boden-Dichters Will Vesper (mächtig: Thomas Thieme), und dessen Liebesbeziehung und Ehe mit Gudrun Ensslin (Lena Lauzemis).

Veiel mischt Spielszenen mit zeitgeschichtlichem Doku-Material und legt Spuren aus. Er richtet seinen Blick ins Private, dass am Ende sprichwörtlich politisch werden muss. Wer sind wir und warum wurden wir zu dem, was wir sind? Wie sehr definieren wir uns über unsere Eltern, welche Möglichkeiten haben wir, wenn diese große Schuld auf sich geladen haben, uns davon zu befreien? Was bleibt, wenn wir scheitern?

Bernward Vesper versucht mühsam aus dem Schatten des übermächtigen Vaters zu treten. Unstet in seiner Beziehung zu Gudrun Ensslin, die über seine wechselnden Affären nicht hinwegsehen kann. Es kommt zur Begegnung mit Andreas Baader, von Alexander Fehling als charismatischer Verführer eindrücklich in Szenen gesetzt. Für ihn wird sie das gemeinsame Kind bei Vesper zurücklassen. Was kann nach dem größten Opfer, zu dem sie fähig ist, noch kommen? Der Schritt in den Untergrund und die Radikalisierung scheinen logisch und konsequent.

Die Kamera von Judith Kaufmann folgt den Protagonisten, drängt sich ihnen aber nicht auf. Keine Handkamera, keine Wackelbilder sollen, so betont Veiel auf der Pressekonferenz, eine dokumentarische Situation simulieren, wo gar keine ist.

Diehl als Bernward Vesper erweist sich vor allem für die Endphase des Films als Glücksgriff. Vesper verliert sich, hat, wie er in einer seiner letzten Szenen sagt, sieben Welten der Angst gesehen. In Diehls Blick sehen wir sie und Schmerz, Wahnsinn und Traurigkeit. Bernward Vesper hat sich 1971 das Leben genommen.

Schmerz, Wahnsinn und Verzweiflung auch im dritten Wettbewerbsbeitrag des Tages. Zwei Frauen, eine gemeinsame Vergangenheit und was von der Erinnerung übrig bleibt, um weiterleben zu können. Die Palästinenserinnen Lara und Inam haben vor Jahren ihre Heimat Ramallah verlassen und sich mit einem Leben in London arrangiert. Aneinander gebunden sind sie über ein Geheimnis, das uns Regisseur  und Drehbuchautor Jonathan Sagall in seinem Film „Odem“ (Lipstikka) in Rückblenden nach und nach enthüllt. So kühl und verwaschen London auf uns wirkt, so distanziert und emotionslos bleiben die beiden Hauptdarstellerinnen. Dieses Schicksal darf uns nicht unberührt lassen, Sagall verweigert uns Einfühlung in die Figuren. Sie scheinen auch ihm fremd zu sein.

Ratlos beenden wir diesen vorletzten Wettbewerbstag. Morgen gehen wir noch einmal gemeinsam ins Kino. Am Samstag hat dann die Jury das Wort.