Berlinale 2015 – Die Party ist zu Ende

Wenn Schweine zur Paarung zusammengeführt werden und die Begattung nicht recht in Gang kommen will, dann hilft Rum. Die Tiere werden abgefüllt, den Rest erledigt die Natur, und nach knapp vier Monaten gibt es viele kleine rosige Ferkel. Jayro Bustamante nimmt uns in seinem Wettbewerbsbeitrag „Ixcanul“ (Ixcanul Volcano) mit nach Guatemala. Am Fuße eines aktiven Vulkans lebt Maria mit ihren Eltern auf einer Kaffeeplantage. Das 17-jährige Mädchen wurde dem Vorarbeiter der Farm versprochen. Die Konditionen der Vermählung werden bei einem gemeinsamen Abendessen verhandelt.

Doch Maria hat andere Pläne. Sie will der Enge der dörflichen Gemeinschaft entfliehen, wissen, was hinter dem Vulkan liegt und sieht in Erntehelfer Pepe ihre Chance. Hölzern nähern sich die beiden Figuren an. Er tauscht, sie wehrt ab. In der Hoffnung, dass er sie nach Amerika mitnimmt, verführt sie den sturzbesoffenen Pepe.

Der arbeitsscheue Hallodri begattet die Schöne und geht alleine. Maria bleibt schwanger bei ihren Eltern zurück. Der verspätete Versuch einer Abtreibung scheitert. Damit die Familie, trotz ausbleibender Heirat, auf ihrem Land bleiben kann, will Maria die Schlangen aus dem Feld vertreiben, damit es endlich bestellt werden kann. Die Schwangere klammert sich verzweifelt an den alten Aberglauben, der schwangeren Frauen magische Kräfte zuschreibt, um wenigstens so die Familie unterstützen zu können.

Maria scheitert und wird gebissen. Im Krankenhaus kann man ihr Leben retten, das Kind wird für tot erklärt. Der Sarg wird von der Dorfgemeinschaft feierlich zu Grabe getragen. Obwohl sie die Regeln verletzt hat, bleibt Maria in der Familie und in der Gemeinschaft geborgen. Die Verzweifelte will nicht an den Tod ihres Kindes glauben und buddelt den Sarg wieder aus. Das Grab ist leer. Die Familie muss sich in die Hände des Vorarbeiters begeben, da nur er spanisch spricht und bei den Behörden vermitteln kann. Nachdem er im Krankenhaus erfahren hat, dass Maria auch zukünftig Kinder bekommen kann, verfolgt er seine eigenen Interessen. Der vermeintliche Wohltäter will nur die Frau und keinen Bastard. Maria und er werden heiraten.

Bustamantes nähert sich behutsam den Traditionen der Maya in seiner Heimat Guatemala. Insbesondere die starken Frauenrollen tragen diesen Film. Das Spiel der Männer wirkt dagegen oft ungelenk und verlässt nur selten Schultheaterniveau. Die Missstände und Ausgrenzungen, denen die Einheimischen ausgesetzt sind, wirken durch die fast beiläufige Ungerechtigkeit noch eindrücklicher. Ein Film, der trotz seines starken Themas, aber erstaunlich wenig nachwirkt.

Paarungsverhalten nach Gutsherrenart

Die stolze Kammerzofe Célestine (Léa Seydoux) verlässt die pulsierende Metropole Paris, um in der Provinz eine neue Stelle anzutreten. In „Journal d’une femme de chambre“ (Diary of a Chambermaid) von Benoît Jacquotort (Leb wohl meine Königin) wird sie dort bereits von der verbitterten standesbewussten Hausherrin erwartet. Von Stund an stellt der lüsterne Hausherr der kapriziösen Dienerin nach und Knecht Joseph (Vincent Lindon) starrt, frisst und schweigt. Die zahlreichen Dienerinnen der angrenzenden Gutssitze bilden notgedrungen eine schwatzhafte Zweckgemeinschaft. Am Tag der Herrin zu Diensten, in der Nacht halten sie dem Herrn dass Bett warm.

Als Joseph plötzlich doch Zutrauen fasst zur blonden Maid, entpuppt er sich als handfester Antisemit. Auf der Suche nach einer Gefährtin, die für ihn anschaffen geht, ist ihm Célestine ins Auge gestochen. Nach kurzer Bedenkzeit entbrennt diese in wilder Leidenschaft für den zerknitterten Schweiger. Um seine politischen Hetzschriften zu finanzieren, ist sie bereit, die Herrschaft zu bestehlen. Zum Dank besteigt sie der ruppige Knecht. Joseph kündigt, Célestine folgt ihm nach. Warum? Unklar. Sehr schöne Kostüme.

Victoria tanzt!

Mit „Victoria“ von Sebastian Schipper (Absolute Giganten) geht der erste deutsche Wettbewerbsbeitrag ins Rennen um die Berlinale-Bären und setzt insbesondere durch die grandiose Kameraführung des Dänen Sturla Brandth Grøvlen ein künstlerisches und visuelles Ausrufezeichen. „Ein Mädchen – eine Stadt – eine Nacht – eine Aufnahme“ – die Medienvertreter würdigen diese Leistung auf der anschließenden Pressekonferenz mit langanhaltendem Jubel und Applaus. Wer will Grøvlen den Silbernen Bären für eine herausragende künstlerische Leistung jetzt noch streitig machen? Gedreht wurde in drei sogenannten Oneshots, d.h. der gesamte Filme wurde am Stück gedreht.

Das Ensemble ist bis in die kleinste Nebenrolle grandios besetzt. Mit Victoria (zauberhaft: Laia Costa), Sonne (Frederick Lau), Boxer (Franz Rogowski), Blinker (Burak Yigit) und Fuß (Max Mauff) gehen wir auf einen 140-minütigen Trip durch Berlin. Mit pulsierendem Sound und flirrenden Bildern zieht uns Schipper hinein in die Nacht. Der Wucht der dokumentarischen Bilder kann man sich nicht entziehen, wir folgen den Freunden durch die Straßen und über die Dächer Berlins.

Die junge Spanierin Victoria feiert alleine in einem Berliner Club sich und das Leben. Auf dem Heimweg trifft sie Sonne, Boxer, Blinker und Fuß. Sie werden in den kommenden Stunden nicht mehr auseinandergehen. Als der Morgen graut, muss Boxer eine alte Knastschuld bei Andi (André M. Hennicke) begleichen. Der sturzbesoffene Fuß fällt als Fahrer aus. Victoria springt ein. Auf die Party folgen Gewalt und Paranoia. Alles läuft aus dem Ruder. Die Berliner Sonne wird am Ende nicht mehr für alle aufgehen. Schipper liebt seine Figuren, manchmal ein wenig zu sehr.  Die Nacht ist lang, manchmal fast zu lang. Herausragend bleibt der Film auf jeden Fall. Die Zuschauer brauchen am Ende Zeit um sich wieder zu sammeln. Großartig.

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Ein von Julie (@fraujulie) gepostetes Foto am

 

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