Berlinale 2015 – Durch die Polarnacht mit Juliette Binoche
Das Festival beginnt lange vor der eigentlichen Gala-Premiere am Morgen mit der Pressekonferenz der bestens gelaunten Internationalen Jury unter der Leitung ihres Präsidenten, US-Filmemacher Darren Aronofski. Ihm zur Seite stehen Daniel Brühl, Audrey Tautou, die Mutter aller Kartoffelfilme und Bärengewinnerin Claudia Llosa, US-Produzent /Regisseur/Drehbuchautor Matthew Weiner (Mad Men, Die Sopranos), Produzentin Martha Laurentiis (Hannibal) und der südkoreanische Filmemacher Bong Joon-ho (Mother, Snowpiercer). Ungewohnt redselig wurde über die Ehre dabei sein zu dürfen, die freudige Erwartung auf alles Kommende und cineastische Sehgewohnheiten im Allgemeinen und Besonderen gesprochen. Um das Festival bis zur Übergabe der Bären bewältigen zu können, will man wenig trinken (Alkohol), gesund essen und manchmal auch schlafen.
Die Schlange zur Pressevorführung des Eröffnungsfilms füllt bereits 55 Minuten vor dem Beginn der Projektion eine ganze Kino-Etage. Menschen, die sich ein ganzes Jahr nicht gesehen haben, liegen sich zwischen Reihe U und Loge A in den Armen. Wie immer wird es uns verboten, Plätze zu reservieren. Wir werden dazu angehalten, von außen nach innen zusammenzurücken (klappt nie) und den Arm zu heben, falls neben uns noch ein Platz frei ist (klappt oft). Die ersten Erkältungsopfer teilen Viren mit allen anderen Kinobesuchern. Bis zum 15. Februar werden 98% der Dauerfestivalbesucher krank sein.
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Wenn Frauen zu sehr lieben, fürchten sie weder Tod noch Teufel noch ewiges Eis und finstre Nacht. In „Nadie quiere la noche“ (Nobody wants the Night), dem Eröffnungsfilm des Festivals von Isabel Coixet, müssen sich Juliette Binoche, Gabriel Byrne und Rinko Kikuchi warm anziehen. Unter Leitung des ebenso verwitterten wie erfahrene Bram (Gabriel Byrne) bricht Josephine (Juliette Binoche) im Jahr 1908 auf, um ihrem Mann, dem Polarforscher Robert Peary gen Nordpol entgegenzureisen. Diese Lady akzeptiert kein Nein, koste es Hunde- oder Menschenleben. Unter größten Anstrengungen und Verlusten erreicht sie das letzte bekannte Basislager ihres Gatten. Hier trifft sie auf die junge Inuitfrau Allaka (Rinko Kikuchi).
Wie eine Schneekönigin thront Binoche im ewigen Eis. Und tobt der Schneesturm noch so gewaltig, der hohe Persianerhut sitzt. Stolz reckt sie das spitze Kinn dem Schnee entgegen. Rot wie Blut das eng geschnürte Kleid, weiß und endlos die Landschaft. Hier ist der Mensch nichts. Leben verschwendet für die ehrgeizigen Pläne gelangweilter Großstädter. Mit Stock und Hut erwartet die Dame die Rückkehr ihrer großen Liebe. Einzig Allaka bleibt mit ihr zurück, um in baufälliger Hütte und Iglu zu überwintern. Ebenfalls die Rückkehr des Geliebten herbeisehnend – den Vater ihres ungeborenen Kindes. Josephine hat ihre Kräfte überschätzt, die majestätische Hülle zerfällt. Die lange Polarnacht fordert ihren Tribut, auch vom Kinozuschauer.
Die feine Josephine muss Haut, Haare, Nägel, Silberbesteck, Grammophon und Seidenkleid den Elementen opfern. Die Hütte trägt eines Nachts der Sturm hinweg. Die Frauen werden zur Schicksalsgemeinschaft, die keine Chance haben kann, mag man ihnen auch noch so sehr ein gutes Ende wünschen. So lange wie möglich spenden sie sich und dem Neugeborenen gegenseitig Wärme und teilen das letzte bisschen rohes Fleisch. Am Ende ist nur Platz für eine im Schlitten zurück in die Zivilisation. Allaka verschwindet mit ihrem toten Kind in der Polarnacht und die Geigen weinen dazu.
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