Es will ganz doll raus aus dir
Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass das menschliche Wesen ruhig und zurückhaltend sei. Tatsächlich lauert unter der dünnen Decke degenerativer Domestizierung ein wildes Raubtier, und das möchte vor allem eins: laut brüllen. Da die meisten von uns aber begriffen haben, dass es störend wirkt, wenn alle gleichzeitig laut schreien, wird diese Form des Ausdrucks nur zu besonderen Gelegenheiten gepflegt. In den frühen Morgenstunden nach einer durchfeierten Nacht beispielsweise. Im Rudel ziehen Männer und Frauen durch die Straßen und besingen den frühen Morgen. Tausendfach schallt es aus heiseren Kehlen dem untergehenden Mond entgegen.
Was ist, in diesem Zustand vollständiger physischer und tatsächlicher Dämmerung naheliegender, als alleine oder gemeinsam mit anderen auf öffentlichen Plätzen laut zu brüllen und unartikuliert die freie Lautbildung zu feiern. Wer gerne eine Reaktion seiner Mitmenschen auf diese Form ursprünglicher Kommunikation erfahren möchte, wählt dazu dicht besiedelte Plätze und Straßen. Insbesondere Menschen im Schichtdienst oder mit sehr kleinen Kindern freuen sich, wenn der kurze Nachtschlaf unterbrochen wird. Sie werden sich von ihren Lagern erheben und mittun.
Einem Liebesständchen gleich nimmt man Aufstellung unter dem Fenster einer schönen Unbekannten und ruft der aufgehenden Sonne entgegen. Gleich was, verständlich oder unverständlich. Es muss hinaus in die Welt. Fluchen sie! Die derart Besungene wird die Worte zu deuten wissen und gegen 4.38 Uhr eine passende Antwort finden. Zur gutturalen Erwiderung wird sie das Fenster öffnen und sich weit vornüberbeugen. Das struppige Haar wird im Rhythmus ihrer Rufe im fahlen Licht des beginnenden Tages wippen. Da kommt zusammen, was zusammen gehört.
Wer zu dieser frühen Stunde einen Partner in ebenso desolater Verfassung sein eigen nennt, schreit einfach diesen an. Alles, was sie sich schon immer einmal sagen wollten, jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür. Benutzen sie Fäkalausdrücke. Lassen sie ihre (noch) schlafenden Mitmenschen an ihrem Beziehungsstatus teilhaben. Lösen sie die Verlobung nicht einfach anonym in einem sozialen Netzwerk. Schluss machen per SMS stört keinen, ist also gleichermaßen sinnlos. Sollte Ihnen danach sein, versöhnen sie sich spontan in einem Hinterhof. Revidieren Sie diese Entscheidung gerne wieder. Befragen Sie ihre Mitmenschen auf Zuruf. Sie werden sich, beim Frühstück am späten Nachmittag, sowieso nicht mehr daran erinnern können.
Und jetzt hinaus in diesen Tag – so jung kommen wir nicht mehr zusammen!
- Osterhasen! Wollt ihr ewig leben …?
- Wenn einer eine Reise tut …