Wohnung mieten, Kinder gebären, Regenschirm kaufen

Auch im Leben einer Frau, die scheinbar alles erreicht hat, gibt es immer wieder Hürden, die unüberwindlich scheinen. In einer langen Reihe von Dingen, zu denen ich ein leicht gestörtes Verhältnis pflege, gehören Regenschirme bzw. die Weigerung, einen zu besitzen oder, um der Wahrheit genüge zu tun, mit mir zu führen. Am Erstwohnsitz gibt es eine ganze Reihe von Schirmen, die sicher irgendjemandem gehören, oder mit denen ich aufgrund emotionaler Nähe zum verstorbenen Erstbesitzern durchaus nostalgische Gefühle verbinde. Deshalb müssen die Dinger noch lange nicht wie eine Klette an mir hängen.

Die Botschaft des Schirms: „Ich beschütze dich vor Regen und bringe dich sicher und trocken nach Hause“ ist, wie so viele werbliche Inhalte, nur Lug und Trug. Tatsächlich geht es um ein Abhängigkeitsverhältnis der schlimmsten Sorte. Will man keine Spur der Verwüstung hinter sich her ziehen, muss das Ding, einmal eingenässt, unweigerlich abgestellt oder -gelegt werden. Es folgt die fatale gedankliche Fixierung auf das Objekt: „Bloß nicht vergessen, bloß nicht vergessen, bloß nicht vergessen, an den Schirm denken, an den Schirm denken, hab ich auch den Schirm nicht vergessen, wo hab ich den Schirm hingelegt, ich hatte doch einen Schirm dabei …“. Es ist längst überfällig, den volkswirtschaftlichen Schaden, den diese Horizontverengung auf Regenschirme verursacht, zu beziffern.

Da die Romantik eines herbstlichen Regenschauers aber nur so lange anhält, wie man nicht gemeinsam ein Stück des Weges gehen muss, war nach mehrmaligem, unschönem Zusammentreffen mit dem feuchten Element der Zeitpunkt gekommen, sich nicht nur diesem Handicap zu stellen, sondern es auch zu überwinden. (Das Naturfanatikerüberlebensmantra: „Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung“, können wir gerne an anderer Stelle oder gleich direkt vor der Türe diskutieren.) Der Kauf konnte ohne größere Zwischenfälle abgewickelt werden. „Souverän“, beschreibt die Vorgänge „betreten – auswählen – bezahlen“ sicher am treffendsten. Auch ein Probetragen in den geschützten Räumen des Zweitwohnsitzes verlief ohne nennenswerte Zwischenfälle. Blieb die Frage, ob es gelingen würde, den Regenschirm nicht nur in die Tasche zu packen, sondern auch darin zu belassen und mit ihm gemeinsam aufzubrechen.

Tatsächlich hatte ich mir eine Liste mit Durchhalteparolen geschrieben und an die Wohnungstüre geklebt (du kannst das, du schaffst das, es ist nur ein Regenschirm etc.). Die  Ankündigung eines sonnigen Wochenendes war allerdings eine schwere Prüfung, die das Projekt an den Rande des Scheiterns führte. Die erforderliche moralische Unterstützung in diesen schweren Stunden kam, wie so oft, von der befreundeten Verwandtschaft. Natürlich habe ich mich nicht von der meteorologischen Weltverschwörung narren lassen – der Regenschirm und ich, wir fahren von Leipzig nach Berlin.