Vom Suchen und Finden
Die Segnungen des modernen Arbeitslebens machen es möglich, dass man nicht mehr dauerhaft mit der eigenen Familie zusammenleben muss. Flexibilität und Mobilität sind die Zauberwörter eines modernen Nomadentums, das sich in der Regel nicht mehr zu Pferd, sondern häufig auf Bahnhöfen und Flugplätzen abspielt. Zugbegleiter werden zu Freunden, beheizte Bahnhofswartebereiche ersetzen heimische Wohnzimmer. Bonuskarten werden wichtiger als der eigene Personalausweis.
Es ist die gummiartige Flexibilität die einen geschmeidig linkshüftig kurz einknicken lässt, bevor man sein komplett optimiertes Gepäck erneut schultert und sich auf den Weg macht.
Nun hat das Gepäck an sich seine Tücken und es wäre sicher hilfreich, könnte man immer alle seine wesentlichen Habseligkeiten in einem Maxi-Brustbeutel mit Sichtfenster dicht am Körper tragen.
Alles kann verlegt und verloren werden. Schon allein die stetig wachsende Kleinfamilie mobiler Endgeräte und ihre anverwandten Ladekabel wollen immer zusammengehalten sein. Die niemals so ganz ausgepackte Reisetasche wird Heimat aller wesentlichen Dinge, die auf keinen Fall irgendwo vergessen werden dürfen. Sie steht in exponierter Position zum Gesamtraum (egal wo), dabei aber niemals im Weg. In und auf ihr liegen alle wesentlichen Bestanteile der Existenz. Kabel, Papiere und Produkte die aus Gründen nicht doppelt angeschafft wurden. Das planlose Laden eines tragbaren elektronischen Geräts an einer beliebigen Steckdose kann ungeahnte Folgen haben. Insbesondere dann, wenn man im Moment der Steckereinführung noch denkt: „Hoffentlich erinnere ich morgen noch daran, dass ich das Ding noch einpacken muss.“
Nach gut drei Jahren des verlustfreien Pendelns zwischen Berlin und Essen stand die dritte Heimfahrt vom Zweitwohnsitz Leipzig nach Berlin unter keinem guten Stern. Der Zug verspätete sich schmerzlich, ein Mitreisender stank erbärmlich und zog sich zur Steigerung des persönlichen Wohlbefindens nach kurzer Zeit auch noch die Cowboystiefel aus. Was insgesamt aber wenig zur Verschlechterung der Atmosphäre beitrug. Bei der Einfahrt in den heimischen Bahnhof musste es schnell gehen. Das Zeitfenster bis zu einem Termin betrug noch knapp 15 Minuten. Leider erreichten nicht alle mit mir abgereisten Dinge das endgültige Reiseziel. Diese Tatsache fiel allerdings erst Stunden später ins Gewicht.
In einem Zustand des Zen alle notwendigen Service-Nummern angerufen und Sperrungen vorgenommen. Die Größe des Verlustes in Relation mit abgetrennten Extremitäten gesetzt und für nicht allzu schwer befunden. Kurz vor Mitternacht mit der Rückkehr des Geräts belohnt worden.
Die Angst vor erneuten Verlusten wird einige Monate schwerer wiegen und die Endkontrolle des Gepäcks wird binnen Stunden die Schwelle zur Zwangsstörung erreichen.
- Royales Bekenntnis
- Nachtrag zur re:publica