Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei

Hin und wieder werde ich ja auf der Straße von Menschen angesprochen die  wissen wollen: „Wie machst du das denn so, ganz alleine in einer fremden Stadt? So am Abend, wenn es Nacht wird über Leipzig und nicht einmal dein Kühlschrank mehr mit dir sprechen möchte. Ist das mehr halb lustig oder halb traurig?“

Meine Gläser sind immer halb leer, das sei aber nur am Rande erwähnt.

Seit Sonntag kann ich die Menschen beruhigen: Ich bin nicht mehr alleine. Wer jetzt an wechselnde Herrenbekanntschaften und ein liederliches Leben denkt, kennt mich natürlich gut, insgesamt ist diese Analyse im Speziellen aber weit gefehlt.
Meine nicht ganz direkte Nachbarin hat sich meiner angenommen. Meinen direkten Nachbarn widerum habe ich noch nie gesehn. Dafür hört man um so mehr von ihm. Er ist auch nicht gerne allein und lässt seine Mitmenschen gerne daran teilhaben. Das ist gut, dann muss man sich keine Sorgen machen, er könne tagelang tot in seiner Wohnung liegen. Dafür werde ich mich beizeiten persönlich bedanken.

Die Nachbarin nun hat vor einiger Zeit ein Paket für mich angenommen. Ich war angemessen dankbar.
Danach sahen wir uns lange nicht.
An besagtem Sonntag, ich war nach sechstägiger Abwesenheit gerade in die Wohnung geschlüpft, klingelte es an der Tür.
Draußen war die Sonne noch nicht ganz untergegangen, ich in übermütiger Stimmung und öffnete also.
„Hallo,“ sagte meine Nachbarin und der schwarze Lidschatten hing tief, „ich habe gehört, dass sie nach Hause gekommen sind. Ich sah dieser Tage zufällig vom Hof aus, dass sie noch keine Gardinen am Fenster haben. Ich habe mir gerade neue nähen lassen. Meine alten wären für kleines Geld abzugeben und ich könnte sie ihnen rasch holen.“

Nun muss man wissen, dass wir nicht im Parterre wohnen, wo man rasch im Vorübergehen einen Blick auf die nicht ordnungsgemäß verhängten Fenster werfen kann. Die Wohnung liegt im 4. Obergeschoß und selbst mit guten Willen wüsste ich nicht, wo genau meine Fenster sind.
An diesem Abend, in durchaus höflicher Verfassung, musste ich das großzügige Angebot aus Gründen leider ablehnen.

Heute Abend nun, ich trug noch alles am Körper und war gerade dabei eine Tasche mit Einkäufen abzustellen, klingelte es erneut.
Die Sache mit dem Augen Makeup müssen wir beizeiten einmal klären. Für Schminktipps bin ich immer sehr gut zu gebrauchen.
Rasch kamen wir wieder auf Fenster zu sprechen. Also sie sprach, ich nickte. Sie hätte heute am Vormittag die von mir geöffneten Flurfenster wieder geschlossen. Das würde sie häufiger tun, ich solle mich da nicht wundern und ihr auch nicht gram sein. Aber das wäre wegen der Unwetter, da würden die Fenster immer so schlagen.
Gut, wir Menschen, die morgens in den Berg einfahren und in den Stollen nach Edelsteinen schürfen, wir kriegen ja nicht mit, was da oben auf der Welt so los ist. Nicht auszudenken, was da alles hätte passieren können. Wir sehen uns dann bald wieder, sprachs und verschwand.

Ich werde mir die Sache mit den wechselnden Herrenbesuchen jetzt doch noch einmal durch den Kopf gehen lassen.