DOK Leipzig 2012 – Kinder, Narren, Schweine und die letzten Könige von West-Berlin
Das 55. DOK Leipzig zeigt eine Woche lang rund 360 Werke aus den Bereichen Dokumentar- und Animationsfilm – vier Filme über das Leben, die Liebe, Einsamkeit und Wahnsinn, die letzten Könige vom Ku’damm, ein blutendes Schwein und das Ende von West-Berlin gesehn.
Ach! Das Leben, der Mensch, die Tiere, die Natur, Kinder und Narren – das DOK Leipzig nimmt uns auch in diesem Jahr mit auf eine Reise an unbekannte Orte, verfolgt Lebensentwürfe und Lebensspuren bevor sie mit den Letzten, die sich erinnern, aussterben. Wir widmen eine Stunde oder zwei unserer Lebenszeit Traditionen, die uns fremd sind, Schicksalen, die uns unterhalten, bewegen, ärgern, verstören, rühren oder auch einfach nur kalt lassen. Zwischen Sparkassenschalter und Street Manager vor einem Puff ist vieles möglich.
Liebe, Suff und eine hohe Mauer
Die Geschichte, warum Vuk nicht wie geplant in Berlin geboren wurde und warum sein Onkel Dragan Wende die Mauer gerne wieder aufbauen würde, allerdings 10 Meter höher, erzählt „Dragan Wende – West Berlin“ (How the Trabant invaded West-Berlin and ruined my Uncle’s Kingdom) von Dragan von Petrovic und Lena Müller meisterlich. Dragan war Garderobier und Türsteher bei Rolf Eden, Kellner bei Romy Haag, als Kneipenwirt sein bester Kunde, Dieb, Schlitzohr, zweiter Geschäftsführer eines Bordells und einiges mehr. Dragan und seine Freunde sind die letzten Könige des alten Berliner Prachtboulevards. Der Suff wird sich Dragan holen, bis dahin kann die Party aber noch ein bisschen weitergehn.
„Dragan Wende – West Berlin“ von Dragan von Petrovic und Lena Müller läuft noch einmal am Samstag, 03.11.2012, um 20 Uhr in der Cinémathèque Leipzig (naTo) und am Sonntag, 04.11.2012, um 20 Uhr in den Passage Kinos.
Luftwegschnapper, Narren und eine Art Liebe
Janina Jung greift in „Bouchbennersch Otto – Vom Umgang mit Andersartigkeit“ in ihrem Heimatdorf im Westerwald den fast verschwundenen Lebensfaden von Otto Müller auf. Ein Dichter, Trinker, Lebensverweigerer und liebenswerter Narr. Von den Nazis zwangssterilisiert und weggesperrt. Sensibel begleitet die Kamera die Berichte derer, die sich noch an ihn erinnern, die ihn aufgenommen haben und am Ende verlassen mussten.
Wir verlassen den Westerwald. Dirk Schäfer nimmt uns in seinem Film „Eine Art Liebe“ mit auf eine Reise in die tradierte, patriarchale kurdische Provinz, irgendwo tief in den Bergen der Türkei. Hier gelten die Gesetze der Clans. Für Nevzat, den Protagonisten des Films, bedeutet das die Verheiratung im Alter von 15 Jahren mit einer sieben Jahre älteren Frau zur Befriedung einer Blutfehde. Nevzat, inzwischen 30 Jahre alt, hält sich mit halsbrecherischen Jobs auf dem Bau in Istanbul und Landarbeit auf dem heimischen Hof über Wasser und träumt von der Liebe, einer Frau und Kindern. Er möchte die Traditionen aufbrechen, wo er Chancen für sich und die dörfliche Gemeinschaft erkennt. Filmemacher Dirk Schäfer wird zum Dialogpartner auf der Suche nach neuen Perspektiven. Fragend bewegt sich der sanfte Mann durch eine Welt, in der er weder die Tradition noch die Möglichkeiten der Moderne greifen kann. Das wirkt bisweilen unentschlossen fließend – so wie das Leben.
„Bouchbennersch Otto“ von Janina Jung und „Eine Art Liebe“ von Dirk Schäfer sind in einer Doppelvorstellung noch einmal am Freitag, 02.11.2012, um 22 Uhr im CineStar und am Samstag, 03.11.2012, um 14 Uhr in der Schaubühne Lindenfels zu sehen.
Komm doch lieber Frühling
Mario Schneider vollendet seine Trilogie über das Mansfelder Land mit einem Beitrag über einen mehr als 800 Jahre alten Brauch. Jedes Jahr zu Pfingsten zieht die Dorfgemeinschaft hinaus auf’s Land, um den dreckigen alten Winter mit lautem Peitschenknallen zu vertreiben. Am Ende muss sich der Winter geschlagen geben, und der Frühling trägt den Sieg davon. Schneider begleitet drei Familien in den Wochen vor den Feierlichkeiten. An der Seite von Tom, Paul und Sebastian finden wir Zugang zu ihren Familien und Lebenswelten, die stark von der kargen Landschaft in der strukturschwachen Region geprägt sind. Da wird den Hasen das Fell noch eigenhändig vom Vater über die Ohren gezogen, und Schweine bluten am Schlachttag im Hinterhof aus. Jungs möchten gerne Fleischer werden, und an Pfingsten wälzen sich die Männer des Dorfes im Dreck.
Für euch kann es vor einem langen dunklen Winter auch noch einmal Frühling werden: „MansFeld“ von Mario Schneider läuft noch einmal am Freitag, 02.11.2012, um 20 Uhr in der Schaubühne Lindenfels und am Samstag, 03.11.2012, um 22.15 Uhr in den Passage Kinos.
Alle Informationen zum Programm, den beteiligten Kinos, Tickets, Highlights und Empfehlungen gibt’s unter dok-leipzig.de.
… und dann hatte noch der Agent im Dienste ihrer Majestät zur Vorpremiere geladen.
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