Berlinale 2019 – Suff, Sex und Fanta-Korn
Ritzeratze, gar nicht träge, sägt der Honka aus Leipzig in Fatih Akins “Der Goldene Handschuh” der Gertraud den Kopf ab mit der Säge. Außerdem “Pferde stehlen” mit Stellan Skarsgård und eine empathielose Niete in Nadelstreifen. Tag drei im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele Berlin.
Extrem langweilig und unglaublich brutal
Was macht der Mann, wenn vom Alkohol und schlechter Ernährung aufgedunsenes menschliches Wellfleisch entsorgt werden muss? Er holt die Säge aus der Küche und zerlegt das Weib in seine Einzelteile. Beim ersten Mal braucht es dazu noch eine halbe Flasche Korn, mit etwas Übung geht die Fleischverarbeitung schon viel leichter von der Hand. Im Hintergrund singt Salvatore Adamo „Es geht eine Träne auf Reisen“.
Fritz “Fiete” Honka, geboren und aufgewachsen ist Leipzig, hat es mit seiner kaputten Fresse – die durchgehend hervorragend verstörende Maske von Maike Heinlein, Daniel Schröder und Lisa Edelmann hat einen Sonderpreis verdient – und dem breiten Sächsisch nicht ganz leicht bei den Frauen. Die Bremsspuren im ehemals weißen Feinrippschlüpfer sind an ihm noch der schönste Anblick. Damit es im “Goldenen Handschuh” auf dem Kiez in Hamburg doch noch mit den späten Mädchen klappt, spendiert der Fiete schon mal das eine oder andere Getränk.
Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt
Wenn der vom Alkohol zerfressene Körper für den Geschlechtsakt nicht mehr voll funktional zur Verfügung steht, schlägt die seelische Abartigkeit in blanke Gewalt um. Honka (Jonas Dassler) misshandelt seine wehrlosen Opfer zu Tode. Es dauert, bis so ein Schädel eingeschlagen ist. Die Entsorgung erfolgt dann, in handlichen Paketen, direkt vor Ort in einem Hohlraum unterm Dach. Dazwischen lernen wir die routinierten Stammtrinker im “Goldenen Handschuh” kennen. Der Versuch, nüchtern einen Job als Nachtwächter zu behalten, scheitert an einem prallen Weib.
Der 1935 in Leipzig geborene Serienmörder Fritz Honka hat von 1970 bis 1975 mindestens vier Frauen in Hamburg ermordet, zerstückelt und in seiner eigenen Wohnung eingelagert. Gegen den Verwesungsgestank verteilte er Duftbäume in seiner Dachkammer. Im Juli 1975 brach in seinem Wohnhaus ein Feuer aus. Während der Löscharbeiten entdeckte ein Feuerwehrmann die Leichenteile.
Nach seinem Goldenen Bären 2004 für “Gegen die Wand” meldet sich Fatih Akin mit der Verfilmung des gleichnamigen Serienkiller–Tatsachenromans von Heinz Strunk zurück im Wettbewerb der Berlinale. “Der Goldene Handschuh” läuft mit FSK18 voraussichtlich am 21. Februar 2019 in den deutschen Kinos an.
Und es war Sommer
Winter 1999, Trond (Stellan Skarsgård) hat sich drei Jahre nach dem Tod seiner Frau in eine einsame Hütte in Schweden zurückgezogen. Hier will er sich einschneien lassen, ins neue Jahrtausend hineinsaufen und über das Leben nachdenken. Die Zufallsbegegnung mit dem fast gleichaltrigen Lars erinnert den Norweger Trond an einen Sommer vor 51 Jahren, indem sie sich unter dramatischen Umständen schon einmal begegnet sind. Gemeinsam mit dem virilen Vater (Tobias Santelmann – ein Kerl zum Bäume umschubsen) buhlt der junge Trond im Rausch der Hormone um die schöne Bauersfrau. Trond tritt die Heimreise nach Oslo alleine an.
Hans Petter Moland müht sich in seinem Wettbewerbsbeitrag „Ut og stjæle hester“ (Out Stealing Horses | Pferde stehlen) um eine Geschichte von Liebe, Verrat, Feigheit und den Widerstand gegen die Nazis im Dritten Reich. Skarsgård gibt den altväterlichen Erzähler, vom Leben gebeutelt aber nicht verbittert – plausibel ist das nicht.
O Sister, where are thou?
Lola, fast 30, blonde Foliensträhnchen im adretten Bob, Businesskostümchen über nudefarbener Shapewear, erfolgreiche Unternehmensberaterin im Fronteinsatz in Rostock. Conny, 40, paranoide Schizophrenie, nach Selbstmordversuch in der Psychiatrie. Die beiden sind Schwestern. Lola wickelt gerade die Belegschaft eines mittelständischen Unternehmens ab, Conny hat Angst vom Pflegepersonal vergiftet zu werden. Lola will nach oben, Conny will heim.
Sobald in “Der Boden unter den Füßen” von Marie Kreutzer an der Fassade von Overperformerin Lola gekratzt wird, platzt der komplette Lack ab. Wer ist hier verrückt? Klingelt das Mobiltelefon wirklich? Hat ihr der intrigante Kollege gerade tatsächlich seinen Schwanz auf der Toilette gezeigt? Machen Geld und Karriere vielleicht gar nicht glücklich? Ein Wettbewerbsbeitrag so fad, wie seine blasse Protagonistin.
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