Berlinale 2014 – Mama! Der Mann mit dem Schneepflug ist da

Wer nicht sehen kann muss fühlen, mit schwerem Gerät gegen böse Jungs und es gibt kein richtiges Leben im falschen Film. Halbzeit bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin.

Was bisher geschah: Maria beschließt zu sterben, Sex und Angst.

Guten Morgen Berlin!

Guten Morgen Berlin!

Das Festival schreitet voran, und das Leben in dunklen Kinosälen ohne Wasser und ohne Brot fordert seinen Tribut. Das Rasseln in den Lungen nimmt zu. Der Husten (zwischen den Filmen) wird bellend. Profis tragen während der Filmvorführung kleine Tampons in den Nasenlöchern, damit sie nicht durch lautes Schnäuzen den Genuss der Inszenierung zerstören. Die Haut hat eine gräuliche Farbe, die bei einigen aber auch bereits Richtung grün changiert. Früh, mit den ersten Sonnenstrahlen, beginnt der Tag, und er endet spät, wenn alle anderen bereits schon wieder schlafen. So bleibt an dieser Stelle nur noch eins zu sagen: Allzeit eine gute Projektion!

Mein wunderbarer Massagesalon

In „Tui Na“ (Blind Massage) von Lou Ye verliert Ma als Kind bei einem Unfall sein Augenlicht. Zornig vollzieht er den Wechsel von den Sehenden zu den Hörenden. Er wird zum Masseur ausgebildet und tritt eine Stelle in einer Praxis in Nanjing an. Wie er sind die meisten seiner Kollegen blind. Wir begegnen Wang und seiner Verlobten Kong, die hier das Startkapital für die gemeinsame Zukunft und eigene Praxis verdienen wollen. Yiguang hat seine Sehkraft bei einem Bergwerksunglück eingebüßt. Er wird den unglücklich in Kong verliebten Ma im Verlauf des Films ins Bordell mitnehmen. Es folgt eine weitere Verliebung.

Behutsam führt Lou Ye in seinem Wettbewerbsfilm die Zuschauer in die Welt der Blinden. Das Sichtbare verschwimmt, die Töne werden intensiver. Bei der Einführung der Figuren und Ausformung ihrer Charaktere ist er weniger genau. Die verzweifelte Suche nach einer Liebe, einem Platz in der Welt wird zunehmend fahriger und willkürlich. Die Tiefe in den Dialogen hat keine Konsequenzen für die Handlung.

Lou Ye findet immer wieder ungewöhnliche, experimentelle Bilder (Kamera: Zeng Jian). Scharfe Einstellungen verschwimmen, wir bewegen uns durch ein Chaos an Geräuschen und Unschärfe. Ein roter Handlungsfaden geht dabei verloren. Nach einer Schlägerei kann Ma wieder sehen, für ihn und den Zuschauer herrschen Verwirrung und Konfusion. Der Film zerfällt und der Massagesalon löst sich auf.

Der Bürger des Jahres sieht rot

Schweigsam sind sie die Männer hoch aus dem Norden. Und warum auch nicht? Wer sollte ihnen antworten, wenn sie sich alleine mit schwerem Gerät durch Schneewüsten arbeiten. Regisseur Hans Peter Moland hat sich nach „En ganske snill mann“ (A Somewhat Gentle Man) erneut mit Drehbuchautor Kim Fupz Aakeson und Schauspieler Stellan Skarsgård zusammengetan und präsentiert das Ergebnis erneut im Wettbewerb der Berlinale. Ein Mann, sein Schneepflug und viele Leichen – die rabenschwarze Gangster-Komödie „Kraftidioten – In Order of Disappearance“ hält, was Freunde des skandinavischen Kinos sich erhofft hatten.

Nils (Skarsgård), gerade als Bürger des Jahres ausgezeichnet, hält mit seinem Schneepflug einen Streifen Zivilisation in der tief verschneiten norwegischen Winterlandschaft offen. Das friedliche Leben wird durch eine Todesnachricht jäh zerstört. Nils Sohn soll an einer Überdosis Heroin gestorben sein. Nils macht sich auf die Suche nach den wahren Hintergründen. Und als er die Wahrheit kennt, wird blutig abgerechnet. Die schweren Jungs haben nicht mit ihm gerechnet, und Nils kennt keine Gnade. Es kommt zum Duell Nils gegen Unterwelt-Boss „Graf“§ (aalglatt, bitterböse und vegan: Pål Sverre Hagen). Die bösen Jungs verschwinden einer nach dem anderen. Nils hält seine Straßen sauber!

Eins, zwei, drei – Bühne frei!

Das britische Städtchen York im Mai. Mitten in den Proben zu einem Theaterstück erfahren die Beteiligten, dass der gemeinsame Freund George schwer an Krebs erkrankt ist und nur noch wenige Monate zu leben hat. Frankreichs Regie-Altmeister Alain Resnais ist mit „Aimer, Boire et Chanter“, einer Adaption des Bühnenstücks „Life of Riley“ von Alan Ayckbourn, im Wettbewerb vertreten. Eine illustre Riege etablierter Stars des französischen Kinos wie Sandrine Kiberlain, Hippolyte Girardot und André Dussollier müht sich durch eine Inszenierung vor einfältig gebauter Bühnen-Kulisse. Das Stück im Stück als abgefilmtes Boulevard-Theater. Monologe werden vor klein kariertem Schwarz-Weiß-Hintergrund deklamiert. Zwischen den einzelnen Spielszenen Überlandfahrten zu Miss-Marple-Musik. Zuschauerschwund ab Minute 10. Es gibt kein richtiges Leben im falschen Film. Nach 60 von 108 Minuten sind wir im Frieden auseinander gegangen.

Und so geht’s weiter: Ronald Zehrfeld zieht in den Krieg.