Berlinale 2014 – Der Letzte wischt das Blut weg

Ronald Zehrfeld im Afghanistan-Einsatz, Schwimmen ohne Wasser und ein Kopfschuss macht noch keinen Kinofilm. Die Berlinale, ein Filmfestival für richtige Kerle mit rauchenden Colts.

Was bisher geschah: Schweres Räumgerät und kleinkariertes Boulevardtheater.

Wenn gerade auf der Leinwand nichts passiert, und das kommt häufiger vor als man gemeinhin annehmen möchte, kann die Zeit für ein kleines Zwischenfazit genutzt werden. Wie immer lassen sich Schwerpunktthemen bei den Filmen im Internationalen Wettbewerb der Berlinale ausmachen. Als da wären: Männer, Männer auf Pferden, Männer mit Schusswaffen, tote Männer, (männliche) Geschlechtsteile und Sex. Der sechste Festivaltag bot von all dem reichlich, einzige Ausnahme: keine Pferde.

Ein Leben für ein Leben

Ronald Zehrfeld in Feo Aladags "Zwischen Welten".

Ronald Zehrfeld in Feo Aladags „Zwischen Welten“.

Feo Aladag ist zurück auf der Berlinale. Während ihr mehrfach ausgezeichneter Debutfilm „Die Fremde“ 2010 noch im Panorama gezeigt wurde, läuft der zweite Film, den Aladag als Regisseurin, Drehbuchautorin und Produzentin verantwortet, im Wettbewerb der 64. Internationalen Filmfestspiele. In „Zwischen Welten“ schickt die Filmemacherin ihren Hauptdarsteller Ronald Zehrfeld in den Krieg.

Jesper (Zehrfeld) ist Hauptmann bei der Bundeswehr und meldet sich erneut zum Einsatz nach Afghanistan, obwohl sein Bruder dort erst kürzlich einem Anschlag zum Opfer gefallen ist. Mit seiner Truppe soll er ein kleines Dorf vor den Überfällen der Taliban schützen. Unterstützt wird die Einheit dabei von dem einheimischen Dolmetscher Tarik. Der junge Afghane und seine Schwester werden aufgrund seiner Zusammenarbeit mit den Deutschen bedroht. Tarik fürchtet um das Leben seiner Schwester und um sein eigenes. Die Situation eskaliert, und Jesper muss eine Entscheidung treffen.

Behutsam nähert sich Aladag ihren Figuren. Der Bruder ein toter Kriegsheld, was bleibt da für den anderen. Das Verhältnis zum örtlichen Kommandanten ist angespannt. Beiden Seiten fällt es schwer, Vertrauen aufzubauen, die unterschiedlichen Lebenswelten zu respektieren. Anfeindungen und latente Gewalt bestimmen den Umgang. Befehl und Gehorsam sorgen für angespannte Ruhe und Ordnung. Übersetzer Tarik bleibt abseits. Gehört er doch weder zu den deutschen Soldaten noch zu den Truppen des Dorfchefs. Schweigende Männer, mit sich und ihren Kämpfen alleine. Als Zeichen der Verbundenheit teilt man die Zigarette nach dem Kampfeinsatz. Immer wieder gerät die Einheit in Hinterhalte. Die Unübersichtlichkeit der Situation fängt Judith Kaufmann in beeindruckenden Bildern ein.

Guter Mensch und guter Soldat: Hauptdarsteller Ronald Zehrfeld ringt überzeugend mit sich und dem Widerspruch, der ihn zwingt Farbe zu bekennen. Deutsche Soldaten sind gemäß ihres Eides auch ihrem Gewissen verpflichtet. Im Ernstfall kann das die Missachtung eines Befehls erfordern, mit weitreichenden Konsequenzen, nicht nur für den Betreffenden selbst. Wie weit reicht der Handlungsspielraum innerhalb eines Systems, das durchaus nicht grundlos stark reglementiert ist? Ein wichtiger Film über Mut und Verantwortung, der Antworten schuldig bleiben muss, mit einem überzeugenden Darsteller-Ensemble.

Alles wird gut, wenn die Zukunft kommt

In drei Kapiteln erzählt Karim Aïnouz in seinem Wettbewerbsfilm „Praia do Futuro“  (Strand der Zukunft) die Geschichte von Rettungsschwimmer Donato (Wagner Moura), Motocrossfahrer Konrad (Clemens Schick) und Donatos Bruder Ayrton (Jesuita Barbosa). Konrad und  ein Freund  geraten beim Schwimmen in eine gefährliche Strömung. Konrad kann gerettet werden, der Freund stirbt. Durch das tragische Ereignis kreuzen sich die Wege von Donato und dem deutschen Motorradschrauber. Auf starke körperliche Anziehung folgt eine Art Verliebung. Donato folgt Konrad nach Berlin. Will dann zurück ans Meer, bleibt dann aber doch. Jahre später, Donato reinigt gerade den AquaDom im Innenhof des Radisson Blu Berlin, begegnet er seinem wasserscheuen kleinen Bruder wieder. Die Mutter ist mittlerweile verstorben. Warum der Kontakt abbrach, unklar, wie so vieles in Karim Aïnouz‘ Erzählweise. Ayrton ist nicht gut auf seinen Bruder zu sprechen und braust mit Konrads geklautem Motorrad durch die Nacht. Es folgen ein kleiner Unfall, eine wilde Partynacht, Knutschen und Fast-Sex mit der blonden Dakota. Einzug bei Konrad, der nicht mehr mit Donato zusammen ist. Dafür hat der jetzt die Haare schön. Wie seine Protagonisten mäandert der Film unentschlossen von Szene zu Szene. Alles kann, nichts muss. Vorgetäuschter poetischer Tiefgang in aufgeblasenen Bilderfolgen. Die Brüder fahren an die deutsche Wattenmeerküste. Das Meer ohne Wasser wird die beiden Brüder vereinen. „Alles wird gut, wenn die Zukunft kommt,“ flüstert eine weise Berliner Barfrau Donato zu. Für den Zuschauer kann das gar nicht früh genug sein.

Kill your Darlings

Noch ein Wettbewerbsfilm, gleiches Problem. Ein Langfilm, der vor allem eins ist: lang.  Yannis Economides widmet sich in der griechisch-deutsch-zypriotischen Co-Produktion „To mikro psari“ (Stratos) dem guten alten Auftragsmörder. Hauptberuflich arbeitet Stratos (Vangelis Mourikis) in der Brotfabrik, im Nebenerwerb ist er Profikiller. Schweigsam, versteinerte Miene, ganz alte Schule. Mit dem finanziellen Zubrot soll Leonidas aus dem Gefängnis befreit werden (Aktion Maulwurf). Außerdem kümmert er sich um Katerina, das Kind der Nachbarin, dessen verkommene Mutter und deren (moralisch und körperlich) verkrümmten Bruder. Der Ausbruch misslingt, das Geld ist weg und Katerinas Leben ist in Gefahr. Im gesamten Verlauf des Films werden Dialoge immer und immer wieder wiederholt. Auch hier führt viel zu nichts. Ist das zu fassen? Ist das zu fassen? Fasst ihr das? Man fasst es nicht. Wenn der Fokus erst einmal aus den Augen ist, führt auch kein Umweg mehr zum Ziel. Stratos, dank seines Hauptdarstellers eigentlich eine Figur mit Potential, löst sich auf. Am Ende muss unser Killer mit Herz ein letztes Mal Großreinemachen. Kann man das glauben?

Und so geht’s weiter: Väter und Söhne, Mütter und Söhne und eine schweigsame Fremde.