Wenn einer eine Reise tut …

…braucht er zum Alleine sein vor allem zwei Dinge: eine geräuscharme Beschäftigung und geruchlosen Proviant. Wer ohne Begleitung reist und Anschluss sucht, sollte dagegen unter Einbeziehung aller Mitreisenden interagieren. Als Grundausrüstung empfiehlt sich ein mannshoher 90 Kilo Rollenkoffer ergänzt durch mindestens 7 Teile Handgepäck. Fortgeschrittene reisen mit verhaltensauffälligen Kleintieren.

Es geht aber auch subtiler …

Eine Reise mit dem ICE von Kopenhagen nach Berlin dauert 6 Stunden und 41 Minuten (10 Minuten länger, wenn der Lokführer zwischendurch aussteigen und Gegenstände vom Gleis sammeln muss). Rund 45 Minuten der Reise wird die kleine Großraumwagenfamilie auseinandergerissen. Zwischen Rodby Faerge und Puttgarten fährt der Zug auf’s Schiff und alle Reisenden vertreiben sich die Zeit auf dem Sonnendeck, kaufen Schnaps, essen Fischbrötchen und trinken dazu Automatenkaffee. Der Rest der Fahrt ist gemeinsame Qualitätszeit für die Gruppe. Die schönsten Bekanntschaften, die man dabei machen kann, brauchen allerdings keine Worte.

Sieben Stunden nonverbale Kommunikation ist nicht jedermanns Sache. Reisende ohne Lektüre, Laptop, Kopfhörer, MP3-Player, Smartphone etc. werden sich nicht über Stunden meditativ in sich selbst versenken, sie werden andere Beschäftigungsmöglichkeiten suchen und finden. Und so geht’s:

Als potentieller Störenfried setzen Sie sich direkt neben (empfiehlt sich bei motorischer Unruhe) oder hinter einen Fahrgast, der mit seiner professionellen Vielfahrerausrüstung (siehe oben) signalisiert, in Ruhe gelassen werden zu wollen. Das sollte Ihnen Ansporn und Motivation zugleich sein. Bringen Sie ihren Sitz in Position. Treten Sie dabei gerne gegen den Platz des Vordermannes, lassen sie das Tischen herunterfallen und stellen Sie es wieder senkrecht. Reisen Sie immer mit einer Tasche die zu 100 Prozent aus Klettverschluss besteht. Demonstrieren Sie durch mehrfaches Öffnen und Schließen der Tasche, die ausgezeichneten Kletteigenschaften. Wiederholen sie diesen Vorgang ca. alle 7-9 Minuten. Reißen sie besonders enthusiastisch, wenn einer der umsitzenden Reisenden gerade eingeschlafen ist.

In der Tasche selbst transportieren Sie viele lose Papiere. Verstecken Sie irgendwo im Altpapierberg ihr Zugticket. Packen Sie bei jeder Kontrolle der Tickets alles aus und verstecken sie im Anschluss daran die Fahrkarte erneut. Vergessen Sie ihre neue Digitalkamera nicht zuhause. Achten Sie bei den Reisevorbereitungen darauf, dass die Tastentöne auf maximale Lautstärke eingestellt sind. Auch im Zug findet man viele schöne Motive. Dokumentieren Sie beispielsweise den Zustand des Abteilbodens und ihr Hosenbein. Knipsen sie den Inhalt ihrer Tasche, die Sie dazu öffnen und schließen müssen. Das Bild ist zu dunkel? Wiederholen sie den Vorgang bis Sie zufrieden sind.

Sie kennen sich mit Ihrer Kamera noch nicht so gut aus? Ausgezeichnet! Jetzt ist die Gelegenheit sich in aller Ruhe durch alle Menüpunkte und alle Schnappschüsse zu klicken. Die Tastentöne werden Musik in Ihren Ohren sein. Vermeiden sie all zu rhythmisches Klicken, ihre Sitznachbarn könnten darüber in einen erholsamen Tiefschlaf versinken. Lachen sie laut und herzlich, wenn Ihnen ein altes Bild besonders gut gefällt.

Öffnen Sie dann, einfach weil Sie es können, ihre Kletttasche. Packen Sie Ihre Brotzeit aus. Geben Sie sich nicht mit einer Ei-Stulle zufrieden. Denken Sie an Zwiebeln, frischen Knoblauch, Bergkäse. Trinken Sie Bier aus gut geschüttelten Dosen. Auch beim Essen, die Tasche nicht vergessen. Klicken Sie auf Ihrer Kamera herum. Eröffnen sie ein launiges Selbstgespräch. Werfen Sie mit Gegenständen. Fassen Sie fremde Menschen an. Seien Sie kreativ!

Gute Reise und bleiben Sie verhaltensauffällig!