Holder Knabe im lockigen Haar

Weihnachten, das jährliche Treffen der Generationen steht vor der Tür – der Vater läuft mit geschliffenem Hackebeilchen durchs Haus, Mutter entdeckt ihre Vorliebe für raumgreifende Kühlsysteme, die Kinder singen liebliche Lieder …

Was gut ist, kommt wieder – einmal im Jahr darf der Mensch sein, was er ist: reaktionär. An Weihnachten bricht sich Bahn, was monatelang in Schach gehalten wurde und findet einen Höhepunkt im Glaubenskrieg zwischen Bienenwachskerzen-Fanatikern und verwirrten Lichterketten-Apologeten. Tatsächlich weise auch ich im Guten auf Folgendes hin: Solange Ihr die Füße unter meinen Tisch stellt, singen wir gemeinsam: „Hell erglühn die Kerzen …“ und nicht „Am Weihnachtsbaume die LED-Schaftkerzenketten brennen“.

Wer den kommenden Tagen mit dem nötigen Ernst begegnet, weiß, wie die Zeit ab dem 23. Dezember nachmittags (Anreise der Protagonisten, ein jeglicher in seine Stadt – und nur in begründeten Ausnahmefällen ist eine genehmigungspflichtige spätere Anfahrt möglich) bis zum zweiten Weihnachtsfeiertag abzulaufen hat, inklusive exzessiven Nahrungsmittelmissbrauchs und kleinen emotionalen Verstimmungen kurz vor der Bescherung. Ein Zugeständnis an den Zeitgeist sind abendliche Begegnungen mit Freunden (ab dem ersten Weihnachtsfeiertag), zu denen begleitend hochprozentige Getränke gereicht werden. Die Folge: restalkoholisierte Kinder mit verquollenen Gesichtern am weihnachtlich dekorierten Frühstückstisch, das ab ca. 8.30 Uhr gereicht wird. Um pünktliches Erscheinen wird gebeten.

Baum, Besinnung, Bescherung – der 24. Dezember beginnt traditionell mit Maßnahmen, die das Magenvolumen langsam auf sein maximales Fassungsvermögen steiger, und dem Aufstellen des Baumes. Der Vater sucht den Baumständer im Keller und schnitzt den Stamm auf Idealmaße. Die Kinder suchen den Weihnachtsschmuck zusammen und diskutieren die Gestaltung des Grüns. Minimalisten treffen hier auf Deko-Enthusiasten. Der Baum passt nicht und der Vater schnitzt weiter. Passt das Runde in das Eckige kommt die eigentlich erste Hürde, die korrekte Ausrichtung. Hier leisten Kinder wertvolle Hilfestellung, indem sie sich strategisch im Zimmer verteilen und wertvolle Tipps an den Vater weiterreichen, der bäuchlings auf dem Boden liegt. Dazu träumt Bing Crosby von weißen Weihnachten.

Die Mutter hat mehrere Ersatzkühlschränke aufgetrieben und über das Haus verteilt. Die gute Nachricht, dass auch in diesem Jahr niemand Hungers sterben muss, verbreitet sich rasch unter allen Festteilnehmern. Am Nachmittag verlassen alle, die jetzt nur noch störend im Weg stehen würden, das Heim, um sich von dafür ausgebildetem Personal auf den Abend professionell einstimmen zu lassen.

Wenn das Glöckchen klingelt, werden viele Generationen gemeinsam in der Stube singen, die Weihnachtsgeschichte hören, Geschenkpapier wie Konfetti im ganzen Raum verteilen und Essen. Jede weitere Nahrungsaufnahme wird ab sofort nur noch durch kurze Ruhezeiten unterbrochen. Die Familie verbringt, in geringfügig wechselnder Besetzung, die folgenden Tage gemeinsam. Satt, selig und ein wenig erschöpft wird man sich am zweiten Weihnachtsfeiertag wieder in alle Winde zerstreuen. Mutter schaltet die Kühlschränke aus, und der Vater bügelt das Kerzenwachs vom Parkett.

Mögen die Dornen auch in diesem Jahr für Euch Rosen tragen!